Pizza bianca alle melanzane

Zu keinen Zeiten war dieser Blog eine reine Rezepteschleuder. Entweder frönte ich abseitigen Kombinationen aus DIY-Popkultur und hausgemachter Besseresserei oder – je länger ich hier schreibe, desto häufiger – ich wandele auf semi-journalistischen Pfaden und hinterfrage kritisch die Praktiken hiesiger Lebensmittelproduktion. Das Abfeiern guter Produzenten und das Teilen noch besserer Ideen meiner kleinen Welt gehörte immer schon dazu, wenn Utecht schreibt.

Die gewiefte Leser*innenschaft weiß natürlich längst, um was es heute geht. Denn wenn er schwurbelt, hat es wohl geschmeckt. Und richtig: Passend zur jahreszeitlichen Endstimmung möchte ich verkünden, dass ich die nächste Evolutionsstufe der Pizzabäckerkunstfertigkeit erklommen habe. Zugegeben: Das hat wenig zu tun mit nachhaltiger, regionaler Biobauernschaft, meinem eigentlichen Fetisch. Mit der Erforschung von kulinarischer Heimattümelei auch nicht. Aber es ist Soul-food. Und das muss an dieser Stelle einmal reichen.

Es gab also eine Pizza bianca in der Gesindehausküche. Mit Auberginen und Büffelmozzarella. Alle Zutaten erlesenster Provenienz, die Zubereitung folgte neuesten Erkenntnissen. Und doch wäre dies kein Grund für einen eigenen Blogeintrag, zumal es sich um den ersten seit über einem halben Jahr Funkstille handelt. Was also war und ist der Clou? Zuerst einmal dies: Um eine richtig gute Pizza beurteilen zu können, muss man 24 Stunden warten. Denn nur was anderntags, kalt und auf die Faust, noch so schmeckt wie Manna und dabei saftig ist und nicht wie Gummi, ist wirklich gut.

Das liegt natürlich am Teig – sehr gutes Mehl, wenig Hefe, viel Wasser – und an der langen Gare (24 h Minimum) und an der höchsten Hitze, die der Haushaltsofen hergibt. Fragt nach bei Schelli oder Torsten oder Claudio. Mehr als die halbe Miete bringen diese Faktoren. Aber im speziellen Fall kam der Kick durch den Belag. Präziser durch das, was ich nicht getan habe: die Aubergine vorbehandelt. Also weder gesalzen, noch gebraten oder gedünstet oder sonstwas. Einfach nur geschält und fein aufgeschnitten und die Scheiben nebeneinander auf den mit Mozzarella belegten Fladen drapiert. Mit reichlich Olivenöl bestrichen acht Minuten in den Ofen, dann mit einigen Rosmarinnadeln verziert, noch etwas Pasta filata und grobes Salz aufgeworfen und fertig gebacken. Vor dem ersten Biss ein paar Tropfen Knoblauchöl und zum Genuss ein Glas Doldensud aus Riedenburg.
Buon Natale!


Praxistipps zur Hühnerhaltung

Erst einige Jahre nachdem wir ins Gesindehaus gezogen waren, diskutierten U. und ich das erste Mal die Frage, ob wir eigene Hühner halten möchten. Anlass dazu war eine Entdeckung: Unser Geräteschuppen ist ein von einer alten Scheune abgetrennter Bereich – die wiederum Teil des als Vierkanthofs angelegten Landguts ist, auf dessen Gelände wir das Privileg haben, leben zu dürfen. In diesem Schuppen gibt es eine etwas versteckt angebrachte Klappe in Bodennähe, die einen Zugang zu unserem Garten ermöglicht. Unzweifelhaft diente diese Vorrichtung in vergangenen Zeiten einmal der Hühnerhaltung.

Wir erwogen also ganz ernsthaft, ob dort wieder geeignetes Federvieh einziehen solle. Weil wir Eier essen (und ich auch Hühnerfleisch), weil wir in dieser Phase unseres Lebens den Gedanken der weitestmöglichen Selbstversorgung sehr attraktiv fanden – und nicht zuletzt, weil ich in einem Haushalt aufgewachsen bin, in dem es immer Hühner gab. Das alles war übrigens weit vor der aktuellen, Pandemie-bedingten Zurück-aufs-Land-Welle und auch weit vor durchromantisierten, Insta-tauglichen Versuchen der überbordenden Selbstinszenierung. Wir entschieden uns letztendlich dagegen, aus vielerlei praktischen Gründen, die alle irgendwie mit fehlenden Zeitkontingenten zu tun hatten.

Allerdings beobachte ich seit kurzem wieder ein Aufflackern solcher Bedürfnisse (nicht nur Hobby-Imkern ist ein Trend) im weiteren Bekanntenkreis – aus naheliegenden Gründen. Am Ende geht es oft um die absolut nachvollziehbare Frage der Produktprovenienz.
Und hier kommt ein Angebot ins Spiel, dass der Gummersbacher Klosterhof Bünghausen zusammen mit dem Biokreis Erzeugerring NRW  macht. Am Sonntag, den 2. August 2020, bieten sie ein Praxisseminar Hühnerhaltung an (Link zum Veranstaltungs-PDF). Diese Veranstaltung richtet sich explizit sowohl an Menschen, die Hühner im Privatgarten für die Eigennutzung halten möchten, wie auch an die, die eine weitere Vermarktung von Eiern und Fleisch in Erwägung ziehen.

Im dreistündigen Seminar werden Grundlagen zur Hühnerhaltung ebenso vermittelt wie wichtige Tipps von Praktikern, die man nicht online nachlesen kann. Es geht weiterhin um die Wahl der passenden Hühnerrasse, um Stallsyste­me, Futter, Tipps zur Gesunderhaltung und vieles mehr.
Der Klosterhof ist übrigens auch an und für sich einen Ausflug wert. Auf dem Archehof werden alte, vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen (Rinder: Rotes Höhenvieh; Schafe: Bergschafe; Hühner: Mechelner Hühner; Pferde: Noriker vom Abtenauer Schlag) gezüchtet und deren Produkte vermarktet.


Vegetabile Transformation 3: Stielmus (Rübstiel)

Vorher:

stielmus

Nachher:

Wenn Speiserüben (Brassica rapa ssp. rapa) auf rheinischen Äckern sehr eng gesät werden, bilden sie zwar keine Wurzeln (also Rüben). Auch nicht im Mai. Aber dann ist es meist sowieso zu spät – denn die wenigen noch traditionell anbauenden Landwirte und Gärtner haben es einzig auf die Blätter abgesehen. Der Italiener kennt das, vor allem in Apulien isst man eines meiner absolut liebsten Pastagerichte: Orecchiette con le cime di rapa. Grüner Hauptdarsteller ist hier wie dort ein Stängelkohl. Wobei in Italien eine etwas andere Varietät (Brassica rapa subps. sylvestris var. esculenta) Verwendung findet. Geschmacklich liegen beide ganz nah beieinander: leicht bitter, mit Senfölnoten und einer gewissen Säure versehen.

Rübstiel heißt am Niederrhein Stielmus; wohl weil die Kohlblätter traditionell verkocht wurden zu einem homogenen Matsch, allenfalls mit Salz, Pfeffer und Kümmel gewürzt. Wenn ich ihn dieser Tage auf dem Markt finde, knüpfe ich also ausnahmsweise einmal nicht an die Küchentraditionen meiner Mutter an, sondern erinnere mich an Francesca aus Monopoli. Vor bald schon 15 Jahren erklärte sie mir in ihrer kleinen Küche folgendes Vorgehen:

Die Stiele werden fein geschnitten und zusammen mit einer zerdrückten Knoblauchzehe, 2-3 Sardellenfilets und einer Peperoncino in reichlich Olivenöl zehn Minuten gebraten. Dann ein halbes Glas kräftigen Weißweins hinzu und einkochen lassen. In der Zwischenzeit die Pasta garen, eine Minute vorm Abgießen die Kohlblätter hinzugeben. Dann alles in einer weiten Pfanne oder im Wok – den ich für solcherlei stets verwende – gründlich durchschwenken und genießen. Viel Kochwein dazu trinken. Wohlsein.

 


Abends in Düsseldorf

Und dann gibt es diese Zufälle im Leben eines Foodies:
Abends, an der Theke meines zweitliebsten Sushi-Restaurants, in der Landeshauptstadt, komme ich ins Gespräch mit meinem Nebenmann. Weil mich interessiert, was er da gerade isst. Battera-Sushi, meint er, Osaka-Style. Makrele mit Reis, gepresst. Und dann gerät er ins Schwadronieren, über Fischqualitäten und Fangmethoden und fragt nach meinen liebsten Adressen. Es entspinnt sich eine überbordende Fachsimpelei mit strahlenden Gesichtern auf beiden Seiten. Irgendwann lässt er fallen, dass er Fischhändler sei und in Japan gelernt habe. Und nicht nur dieses Lokal beliefere – sondern „alle, die Wert auf guten Fisch legen“. Das scheint zu stimmen, wenn man sich seinen Internetauftritt so anguckt.

sushi

Toko-Jo-Sushi im Kikaku, Düsseldorf

Ein wirklich inspirierendes Gespräch, in dem ich viel lerne über Netze und wie man sie flickt, über den Fischmarkt in Tokyo und dass neben Düsseldorf ausgerechnet München die deutsche Stadt sei, in der es die besten Fischqualitäten gebe. Und dann erreicht mich auf dem Nachhauseweg in der S8 eine Nachricht vom Guide Michelin via Instagramm. Ob sie ein Foto von mir nutzen dürften für ihre Veröffentlichungen. Why not?
Tage gibt’s…


Biogemüse-Anteil steigt auf über 8 %

Genau 8,1 Prozent der Einkaufsmenge an Frischgemüse stammt in Deutschland im ersten Halbjahr 2019 aus ökologischer Landwirtschaft. Diese Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. Das Bundesland mit der größten Bio-Anbaufläche ist dabei Nordrhein-Westfalen. Insgesamt circa 2.500 Hektar Freilandfläche bewirtschaften ökologisch arbeitende Gärtnereien und Gemüsebauern hierzulande. Das berichtet die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI). Ergänzend gehen die Experten bei der Landwirtschaftskammer NRW davon aus, dass sowohl im Gemüsebereich wie auch bei ökologisch erzeugten Milchprodukten die Nachfrage weiter wächst. Dies hat wiederum zur Folge, dass es für bisher konventionell arbeitende Landwirte weiterhin attraktiv bleibt, auf Ökolandbau umzustellen.

Biomöhren

Auf Ökolandbau NRW ist nachzulesen, dass in Deutschland jeden Tag durchschnittlich fünf landwirtschaftliche Betriebe auf bio umstellen. „In Nordrhein-Westfalen waren es im letzten Jahr etwa alle drei Tage ein Betrieb mit durchschnittlich circa 50 Hektar pro Betrieb, das meiste davon Ackerland.“ Zwar wachse der Absatz bisher nicht im selben Tempo, aber die Experten sind vorsichtig optimistisch, weil auch das Handelssegment „Bio“ hochdynamisch ist. Circa 11 Milliarden Euro ist das jährliche Volumen des Bio-Lebensmittelmarkts, was knapp sieben Prozent des gesamten Lebensmittelmarktes entspricht.

Interessante Randnotiz: Obwohl inzwischen 60 Prozent der Bioprodukte im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (inklusive Discounter) verkauft werden, wächst auch der Naturkostfachhandel weiter – und zwar besonders in NRW. Die Experten der Landwirtschaftskammer erläutern: „Laut Branchenanalysen haben die hiesigen Naturkosteinzelhändler im ersten Halbjahr 2019 mit neun Prozent das stärkste Umsatzwachstum aller Regionen erreicht und damit hält NRW bereits im dritten Jahr in Folge diese Vorreiter-Rolle. In NRW ist also nicht nur die Dichte an Marktunternehmen, die ausschließlich mit Ökolebensmitteln handeln groß, sondern auch die Nachfrage nach Ökoprodukten.“


Brudertier-Initiative widmet sich ethischen Fragen der Tierhaltung

Vergangene Woche hat sich die bisher sehr erfolgreich arbeitende Bruderhahn Initiative (BID) entschlossen, sich fortan mit möglichst allen ethischen Fragestellungen der Nutztierhaltung auseinanderzusetzen. Bisher standen besonders das Schreddern oder Vergasen von männlichen Hühnerküken im Fokus des Vereins, der ursprünglich von norddeutschen Bio-Produzenten und -Händlern gegründet und von Bioland und Demeter unterstützt wird. Über 40 Millionen Legehennen-Brüder werden laut BID in Deutschland kurz nach dem Schlüpfen getötet. Betriebe mit dem Bruderhahn-Logo hingegen schlagen 4 Cent auf den Preis eines jeden Hühnereis auf – und stecken diese Mehreinnahmen komplett in die Aufzucht der männlichen Tiere.

Bruderhähne im Freien (Quelle: BID)

Bruderhähne im Freien (Quelle: BID)

Ähnlich nachhaltige und pragmatische Lösungen sollen nun u.a. für folgende Problemfelder erarbeitet werden: So können Bullenkälber aus Biolandwirtschaft im deutschen Biomarkt bisher nur unzureichend vermarktet werden. Ganz ähnlich sieht es bei männlichen Ziegenkitzen und Lämmern aus – mit ethisch bedenklichen Folgen. Überzählige männliche Tiere werden einer nicht akzeptablen Resteverwertung zugeführt (detaillierte Infos dazu folgen hier in Kürze). Daher sollen mit allen Beteiligten – Produzenten, Handel und Verbrauchern – neue Absatzmöglichkeiten und Vermarktungskonzepte erarbeitet werden. Darüber hinaus stehen aber auch Themen wie die muttergebundene Kälberaufzucht und die Ferkel-Kastration auf der Agenda des BID. So dürfen Ferkel hierzulande bis zu ihrem siebten Lebenstag ohne Betäubung kastriert werden. Die Einführung verschärfter Tierschutzbestimmungen wurde bisher von der Lobbyarbeit der Agrar-Verbände unterminiert.

Die neu formierte Initiative lädt nun weitere landwirtschaftliche Betriebe, vor allem aus dem Bereich Rinderhaltung, ein, sich ihr anzuschließen. Diese sollten sich „mit dem Ziel der Brudertier Initiative identifizieren und sich dafür engagieren, jegliche unethische Praxis bei der Haltung, dem Transport und der Schlachtung von Nutztieren zu beenden“.

 


Jahrestag eines Unfalls

An einem trüben, feuchtkalten Spätherbstmorgen gurgelt der alte 3er-Golf beim Anlassen noch ein paar Sekunden länger als sonst. Doch einmal auf Betriebstemperatur schnurrt er zuverlässig und lässt sich leichter Hand chauffieren auf den Baum bestandenen Landstraßen am linken, mittleren Niederrhein. Trier ist heute unser Ziel, die alte Lieblingsstadt und Moselkapitale. Seit Studentenzeiten eine Art Sehnsuchtsort. Der heutige Anlass allerdings ist eher ernster Natur: ein Krankenbesuch steht an. Doch sind wir fröhlich, die Frau am Steuer, der Freund im Fond und ich als Beifahrer, singen einander Songs vor bis zum Wiedererkennen, scherzen auch noch, als wir das große Braunkohleloch passieren, auf der A61 nun, gen Süden.

Bis zu diesem einen Moment, der alles ändert, kurz hinter Quadrath-Ichendorf: Ich habe mein Leben geliebt, so wie die Frau neben mir, kann ich noch denken, bevor die Holzlatte einschlägt. Die misst 220 x 12 x 1,5 cm, so steht es später im Unfallbericht, der Autobahnpolizist hat sie herausgezogen aus dem Loch, das sie geschlagen hat zwischen uns. Erst im Himmel bleibt sie stecken, keine Hand breit neben meinem Kopf. Ein Sanitäter spricht später von der Definition von Glück. Ich weiß nicht, was das ein soll, Glück: feuchte, zitternde Hände, weil wir beim Dreisprung von der Schippe mit dem Leben davon gekommen sind?

Ein paar Augenblicke zurück: Wir sind mit 120 km/h auf der Überholspur, rechts von uns eine LKW-Kolonne, als über einem von ihnen, vielleicht 150 Meter vor uns, eben jene Latte hervorwirbelt, direkt auf uns zu. Diese Sekunde vielleicht, die zwischen Erkennen und Einschlag liegt, nutze ich zu einem Blick nach links – ja, sie hat es auch gesehen – und zum Abschied. Dankbarkeit und ein Fluch, der ungefähr den Gedanken beinhaltet, dass jetzt doch noch nicht alles vorbei sein dürfe. Dann der Knall. Ich tauche ab. Sie allerdings ist voll und ganz diese so genannte Geistesgegenwart. Mit Glassplittern im Gesicht und der Latte in Wimpernschlagnähe fährt sie einfach weiter. Ruhig. Schließt den Überholvorgang ab, setzt den Blinker, und zieht hinüber bis auf den Standstreifen, wo wir langsam ausrollen. Dabei schaut sie sich um – ja, wir leben – schaltet die Warnblinkanlage ein und seufzt.

Der Rest könnte sein: Polizei, Feuerwehr, Rettungswagen, ADAC. Weiche Knie, Traumatherapie. Wenn da nicht kurz nach uns ein weiteres Fahrzeug halten würde. Ein Transporter mit einem Anhänger. Darauf eine Weihnachtsmarktbude. Gezimmert aus Holzlatten. Der Fahrer steigt aus. Wir auch, endlich. Er geht um unser Auto herum. Beugt sich über den Kühler. Betrachtet das Loch im Glas und ganz genau die Latte. Sagt „Nicht meine“ steigt in sein Fahrzeug und fährt davon.

Wie ich es schaffe, im Anfahren ein Foto vom Nummernschild zu machen, weiß ich nicht. Drei Sekunden zuvor konnte ich noch nicht einmal das Telefon halten, geschweige denn wählen. Aber es führt zu nichts. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen unbekannt nach einigen Monaten ein – ungefähr zu der Zeit, in der die nächtlichen Flashbacks weniger werden. Mit der Freundin aus dem Trierer Krankenhaus, den besten Nachbarn der Welt und dem Menschen, der uns den Himmel nähte, feiern wir dieser Tage Geburtstag. Übermorgen werde ich mal wieder die Stelle passieren, wo immer noch unser Warndreieck steht, am Steuer eines Golf 3, an einem Spätherbstmorgen.