Im Rieslingparadies, Abteilung Pop-up

Sebastian Georgi konzentriert sich für eine kurze Zeit völlig darauf, was seine eigentliche Profession ist und auch sein einzigartiges Talent: Nicht Pizzabäcker, sondern Gastgeber zu sein und eine Art Rebensaftschubse deluxe in einer, seiner, Weinbar. Die nennt sich 485° POP-UP Weinbar im LADEN EIN. Und ist großartig! Warum? Weil der Mann lauter Große Gewächse aus oft großen Flaschen „by the glass“ ausschenkt zu Preisen, die unschlagbar attraktiv sind. Auf der 5-seitigen Weinkarte finden sich ausnahmslos Positionen (66 offen) von vor allem Mosel, Pfalz, Rheingau und Rheinhessen, die zu freudigem und ausdauerndem Trinken animieren. Was sich in diesem sowieso schon einzigartigen Gastrokonzept im Kölner Agnesviertel in diesen 14 Tagen (noch bis zum 21. Mai) abspielt, gibt es ansonsten nicht in der Domstadt, nicht im Rheinland, nicht in der Republik. Das Essen kann man getrost vergessen. Dafür sollte jeder, der auch nur im entferntesten ein Faible für Riesling hat, einen Abend dort verbringen. Mit netten Menschen vielleicht – auf jeden Fall aber mit einem Spitzen-Wirt!


Volle Bandbreite Moselriesling

Eigentlich war Mythos Mosel eine vollkommene sensorische Überforderung für mich. Mein gustatorisches Handwerkszeug besteht ja nicht aus weinsensorischem Instrumentarium („Saufen wie die Profis“), sondern ich nähere mich dem Getränk intuitiv über den Geschmack. Assoziativ ordne ich also in meinem kulinarischen Referenzrahmen Eindrücke und verknüpfe diese vollkommen subjektiv mit dem Eindruck, den die Menschen auf mich machen. Die Winzer, Weinbauern, Produzenten kennenzulernen, ist für mich der einfachste und direkteste Weg, einen Wein zu verstehen. Und unverzichtbar: Weil es sich beim Wein um ein hochverarbeitetes Lebensmittel handelt, ein Produkt also, bei dem Skepsis grundsätzlich angebracht ist, ist Vertrauen in das ehrliche Handwerk Grundlage für Genuss.

Zudem ist es immer wunderbar, Menschen kennenzulernen, die brennen für das, was sie tun. Nicht nur Ehrgeiz getrieben, sondern aus Liebe zu ihren Produkten und zur Natur, mit der sie arbeiten. In einer Region verwurzelt zu sein hat gerade bei Weinmenschen selten Provinzialität zur Folge. Der Genusshorizont wird eher markiert von Landmarken mit Namen wie Kopenhagen, Berlin oder New York. Um dann in Reil oder Wehlen Dinge zu tun – oder eben gerade nicht – die einzuordnen in einem gesamtkulinarischen Kontext leicht fällt. Als Teil einer gourmandisen Avantgarde oder als Trendsetter immerjunger Klassik. Ob vin naturel oder klassischer restsüßer Kabinett: Mut gehört auch dazu. Dinge auszuprobieren, für die der Bankberater und der konservative Genusstrinker dich verhöhnen. Oder einen langen Atem haben, vielleicht auch mal zehn Jahre lang, in denen süßer Moselwein imagemäßig mausetot war. „Wir laufen keinen Moden hinterher. Am Ende setzen wir eher selber einen Trend.“ jj

Sagte Katharina Prüm vom Wehlener Monumentalweingut J.J. Prüm  bei einer Probe am Sonntagmorgen um 10. Auch heute, am Tag danach, kann ich mein Glück kaum fassen, dabeigewesen sein zu dürfen. Noch nie habe ich in so komprimierter Form so viel über Wein und die Lagen, aus denen er kommt (Wehlener Sonnenuhr, Graacher Himmelreich und Graacher Dompropst) gelernt.  Zusammen mit Christoph Schaefer (Weingut Willi Schaefer) hat sie geschichtsbewusst die wunderbare Zukunft aufscheinen lassen, die restsüßer Moselriesling in dieser herausragenden Qualität hat. Wenn man anders an die Sache herangeht, als es in der kurzlebigen Genusswelt, gerade auch in der Rosinenpickerdomäne Wein, inzwischen die Regel ist. Motto: „In Dekaden denken.“

Thorsten Melsheimer ist Biowinzer in Reil. Der Steillagen rettet und weiterkommt, weil er zurück zum Ursprung denkt. Auch bis zu den Anfängen des Weinmachens, als der Traubensaft noch in Amphoren blubberte. Wie Prüm ist er ein klarer Kopf, mit einem festen Gedankengebäude und offenem Blick. Der gerne ausprobiert und experimentiert, weil er es sich leisten kann. Denn er steht auf einem festen Fundament, einer Mischung aus Biodynamik und Lust am ehrlichen Handwerk. Dabei ist er mindestens ebenso konservativ wie Katharina Prüm – beide meinungsstark und herzerfrischend. Melsheimers „Orange“ ist erst einmal nur ein Versuch, sein „Vade Retro“ ein fast schon etablierter, weil längst in der weltweiten Spitzengastronomie angekommener Naturwein. Aber auch er kann klassischen Moselriesling. Sein restsüßer Kabinett zum Beispiel ist der Verkaufsschlager im Bioladen meines Vertrauens. orange

Wie so viele Texte in diesem Blog muss auch dieser Fragment bleiben. Ich könnt noch viel Namen droppen und Themen anreißen. Zwei werde ich in den nächsten Tagen vertiefen, versprochen. Petra Pahlings, die für Prüm auch mich eingeladen hatte nach Wehlen, tat dies unter dem Leitmotiv, Foodies und Weinnerds zusammenzubringen und einem besseren Austausch den Weg zu bereiten. Warum das bisweilen schwierig bis unmöglich ist, werde ich in Kürze beleuchten. Und dann folgt bald ein Beitrag, auf den mich schon viele angesprochen haben am letzten Wochenende. Weil ich Fragen gestellt habe in sozialen Netzwerken zu einem bestimmten „Nachhaltigkeitssiegel“ und dem Sinn und Zweck, der dahinter steckt im Zusammenhang von Bio, Herbizideinsatz im Weinberg und imagefördernder PR. Ich arbeite daran.


Sprossenkohlsprossen-Spaghetti

Orecchiette con le cime di rapa sind mit großem Abstand meine liebsten Gemüsenudeln. In ihrer schlichten Brillianz werden sie von keiner anderen Teigwaren-Grünzeug-Kombination übertroffen. Wie bei vielen italienischen Standards sind aber die Qualität der Zutaten – und wann findet sich in rheinischen Gefilden schon einmal akzeptabler Knospenkohl – und absolute Originalrezepttreue vonnöten. Und: niemals Reibekäse.

Varianten und freie Interpretationen allerdings sind erlaubt, wenn sie sich ihrer Tradition bewusst sind, Bezugspunkte klarmachen und eventuelles Hinzufügen oder Weglassen schlüssig ist. Wie die Broccolinummer, weil eben kein Rapa zu bekommen war. Oder jüngst der Versuch mit Sprossen.

In meiner Jugend, in den öden 80ern des letzten Jahrhunderts, war die heimische Sprossenaufzucht sicheres Kennzeichen für lustfeindliche Körnerfresser und Latzhosenträger. Leute mit einem Faible für Kresse, Bockshornklee, Alfalfa- und Mungobohnensprossen haben auch Brottrunk gesoffen bis zum Delirium und hernach Birkenstock beschuht zu weichgespültem Reggae regengetanzt. Oder so ähnlich, genau erinnere ich mich nicht, der zu vielen Kräuterzigaretten wegen, damals.

Heute, selber Ökofreak, gedeihen auf der Gesindehausküchenfensterbank Sämlinge vom Cima di rapa. Sprossenkohlsprossen. Ein letzter Versuch der Nutzbarmachung ebensolcher Samen, da der Anbau auf dem heimischen Acker im vergangenen Jahr kläglich gescheitert ist. Nach wenigen Tagen gekeimt, schmecken die kleinen grünlichen Pflänzlein frisch, mit einer leichten Bitternote, leicht nussig und kaum nach Kohl.

sprossenkohlsprossen

Ich habe klassisch Spaghetti aglio e olio zubereitet, dann eine handvoll Sprossen dazugerupft und durchgeschwenkt. Einige Sämlinge vom Cima di rapa kamen obenauf mitsamt einer Prise Bottarga. Getrunken wurde dazu ein frischer 2013er Weiser-Künstler Riesling von der Mosel, ein charmant alkoholarmer Mittagessen-Begleiter. Beides, Wein und Essen, war in seiner jeweiligen Einfachheit perfekt – und ergänzte sich formidabel.


Der perfekte Reibekuchen

Auch wenn es gerade schneit, als hätte Frau Holle das Plümo zerfetzt – ein früherer Freund nannte solch unnötige Wetterlagen schlicht „Schimmel“ – und auch sonst alles in dieser seltsamen Stadt bimmelt, jauchzet und frohlockt, bleibe ich standhaft. Keinen der bestimmt 25 Kölner Weihnachtsmärkte werde ich besuchen, auch nicht den lustig bunten schwulen hier im Bermudadreieck. Ich staune zwar, bleibe aber außen vor. Einzig die Rievkoochebuden, besser gesagt deren Ausdünstungen, sind fettiger Trigger für einen Rheinländer. Und auch wenn das Angebot zum Beispiel von Willi Nock auf dem Neumarkt richtig gut sein soll – ich brate lieber selber.

reibekuchen

Denn der Teig der Gastrofladen ist mir in der Regel von zu breiiger Konsistenz, ins Pufferhaftige tendierend. Ich mag die Dinger dünn und kross – und dieses Ergebnis lässt sich nur erreichen, wenn folgendes beachtet wird:

Obacht bei der Kartoffelwahl
Die Kartoffeln müssen schon eine gewisse Zeit gelagert worden sein. Frisch geerntete beinhalten einfach zu viel Wasser. Außerdem muss natürlich der Stärkegehalt stimmen: Wenn zur Hand, verwende ich hauptsächlich mehlige wie zum Beispiel Saturna. Die eine oder andere festkochende gesellt sich oft hinzu. Der Mix ermöglicht im Ergebnis eine optimale Textur.

Dingliche Dreifaltigkeit
In der heiligen Stadt Köln schert man sich selten darum, da kommen gerne auch Weizenmehl oder gar Haferflocken in den Teig. Bei mir jedoch nur: 5 große Kartoffeln, 1 Zwiebel, 1 Ei. Sonst nix. Umso wichtiger ist die Qualität der Grundprodukte.

Stärke und Salz
Neuerdings gebe ich zu den geriebenen Kartoffeln kein Salz, sondern würze erst die obere, rohe Seite in der Pfanne. Das hat zwei Effekte: Der Teig zieht weniger Wasser, eine höhere Stärkekonzentration ist gut für das Sozialgefüge (= Zusammenhalt). Und die Würze ist beim Genuss vordergründiger – was einen nachhaltigeren Kartoffelgeschmack ermöglicht. Im Abgang Erde und leichte Süße.

Letztere Wahrnehmung schreit nach Verstärkung. Also entweder Apfelkompott – momentan liegen hier ja immer Äpfel rum, gestern gab es eine Mischung aus Arlet, Berlepsch und Boskop, blitzgekocht – oder Kraut. Kein Schnickschnack, wie früher mal versucht.

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Heiß und fettig
Fürwahr, am Öl darf nicht gespart werden. Weder an Quantität, noch an der Güte. Ein gut raffiniertes Marken-Sonnenblumenöl aus dem Supermarkt erweist sich nach langjährigen Tests als hitzebeständig und Geschmackssieger.  Und Reibekuchen gelingen mir am besten, wenn beides zusammen kommt: Reichlich heißes Öl und eine gute beschichtete Pfanne. Vor dem Genuss wird auf Küchenkrepp wieder entfettet. So wird das Kartoffelgebäck maximal kross.

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Zu viel Säure darf der dazu zu trinkende Riesling nicht mitbringen. Ich empfehle mich mit einem restsüßen 1990er Winkeler Jesuitengarten von Hamm. Perfektes Paar.


Spielt mehr Guerillakonzerte (und trinkt teuren Riesling dazu)!

F.S.K. in der Filmwerkstatt. Was klingt wie ein blöder Feuilletonistenwitz ist eigentlich nur ein Kommentar. Das Konzert in einem Düsseldorfer Hinterhof findet tatsächlich statt, samt Diskussion mit den Künstlern, dem einen oder anderen Seidenschal und wahrscheinlich ohne akzeptablen Wein. Das klingt grauenvoll und ist doch nicht weniger als ein Pflichttermin. Schon in den 80ern waren die Münchner im Rhythmus der Zeit:

Das aktuelle Werk „Akt, eine Treppe hinabsteigend“ ist mein Album des Jahres. Neben Neil Youngs Psychedelic Pill vielleicht. Aber letzteres habe ich ja noch gar nicht gehört. Für den morgigen Gig gibt es übrigens keinen Kartenvorverkauf. Was großartig ist – wirkt es doch mafiösen Strukturen im Musikgeschäft entgegen. Berthold Seliger hat in der Berliner Zeitung eindrücklich beschrieben, wie der Monopol-Kapitalismus die Restkultur aufzufressen droht. Lesen.

Eigentlich sollten also viel häufiger rebellische Akte stattfinden. Guerillakonzerte beispielsweise. Großveranstaltungen zu kapern, deren Umfeld besser gesagt, kann vielerlei Effekte haben. Angenommen, in der Kölnarena spielt ein gewisser Herr Bieber, vor 15.000 12jährigen, die alle mindestens 83 Euro bezahlt haben. Und vor dem Kommerztempel, an der Straßenbahnhaltestelle Bahnhof Deutz / Messe, hält 30 Minuten vor Konzertbeginn ein dunkler Van mit quietschenden Reifen, herausspringen die Jungs von Münchausen oder Clarkys Bacon oder Ecke Schönhauser, hauen zwei batteriebetriebene Verstärker auf’s Pflaster und machen zwölf Minuten lang formidablen Krach. Sorgen für heftige Irritation. Für ungläubiges Staunen, manch Ignoranz und die eine oder andere Heiterkeit. Dann hätte Kunst etwas bewirkt. Und Popkultur am Rande ihres Kosmos lustig bunt geflackert. Ein romantischer Gedanke. Oder?

strassenmusikanten in portland

Vor dem Crystal Ballroom in Portland habe ich im letzten Jahr genau diese Szene erlebt. Es war für mich der Höhepunkt des durch und durch kommerziellen MusicFest NorthWest. Tickets wurden keine verkauft. Ich teilte eine Flasche Riesling von Bernd Schales aus Summerland/Okanagan Lake mit mir bis dahin unbekannten Mithörern, die Freunde wurden für eine Nacht. Auch die Plastikbecher konnten diesem kanadischen Wundertropfen, der neben gehörigem Schmelz genügend Schmackes samt sattsamen Säurespiegel mitbrachte, nichts anhaben. Im Gegenteil: Guter Riesling passt nicht nur zu fast jedem Essen – so meine ganz persönliche Foodpairingregel. (Alternativ geht immer: Rieslingsekt!). Kein anderer Wein ist so körperlich wie ein gutes, lautes, energetisches Konzert. Mit Kribbeln im Bauch und unter der Schädeldecke. Für morgen wünsche ich mir ein paar Flaschen vom roten Hang.

Zum Schluss noch dies: Ich bin gespannt, an welchen Rädern Thomas bald im Weinweb drehen wird. Den Winzerblog will er einstellen. Der älteste und wichtigste deutschsprachige Weinblog ist bald also Geschichte – und wird zum Abschluss noch einmal eine Weinrallye ausrichten. Wichteln für Internettrinker. Ich freue mich, dabei zu sein und werde einen Riesling auf die Reise schicken. Was sonst?


Pirohy, Mannwerk und kein Calvadoshuhn

Mal wieder Schneeregen. Und Karnevalskälte. Daher schafft es weder das gestrige Calvadoshuhn noch der Couscous nach Arthurs Tochter Art vom Samstag in diesen Blogpost. Obwohl beides formidabel war, keine großen kochtechnischen Herausforderungen, aber Gerichte mit Soulfoodpotential. Doch mit eben zuviel Sonne im Herzen. Seelenbalsam ist mir bei der momentanen Witterung eher Bergvolkskost. Ein Gericht, dass so oder so ähnlich auch in der östlichen Alpenregion oder längs der Karpaten zubereitet wird. Ich jedoch aß das Kalorienkonzentrat erstmals zu Füßen der Hohen Tatra im slwowakisch-polnischen Grenzgebiet: Pirohy mit Bryndza, braunen Butterzwiebeln und saurer Sahne (Bryndzové Pirohy).

pirohy

Kein ausgelassener Speck obenauf, dafür reichlich Schnittlauch in die Füllung. So habe ich es bei der Mutter von Z gesehen, in Spisska Bela. Und wie andere slowakische Kulinaria auch schon beschrieben – aber eben nicht zubereitet.
Der Teig besteht je zur Hälfte aus gekochten Kartoffeln und Weizenmehl, dazu ein Ei. Die Füllung kann purer Schafsfrischkäse sein oder eine Mischung mit noch mehr Kartoffel und eben Schnittlauch. So hielt ich es und war vom Ergebnis begeistert. Die Zwiebeln werden in reichlich Butter und bei nicht zu großer Hitze ganz langsam gebräunt. Die saure Sahne etwas gesalzen und aufgeschlagen.

Zurück zum Huhn:
Gestern probierte ich zusammen mit A den 2010er Mannwerk. Dank nochmals an Marqueee für die Flasche Riesling Alte Reben aus dem St. Aldegunder Himmelreich!
Mir gefiel das dominante Säurespiel ausnehmend gut – weil auf der anderen Seite Leichtigkeit und Wucht einen hübschen Zweikampf ausgefochten haben. Ich könnte nicht sagen, wer als Sieger das Glas verlassen hat. Gewonnen haben aber auf jeden Fall die Trinker. Verloren hingegen ein spontanes Foodpairing. Das Calvadoshuhn starb zum zweiten Male. Da noch ein Glas in der Flasche ist, gibt es heute einen zweiten Anlauf. Gegner: Grühnkohl, klassisch! Obwohl ich eigentlich schon weiß, dass der Männerwein ein Sologetränk ist.


Silvanersonntag und Etikettenevolution oder Das dicke Ende kommt zum Schluss

Udenheim ist ein perfekter Standort für das Basislager meiner Rheinhessenexpeditionen. Gelegen in einem Talkessel, der sich nach Osten zum Selztal hin öffnet und auf drei Seiten umgeben ist von pittoresken Weinbergen, deren bekannteste  Lage gen Norden der Udenheimer Sonnenberg ist. Noch nie gehört? Nicht weiter verwunderlich, kaum ein Winzer hat es aus diesem Weiler je zu Weltruhm gebracht, ist das Ziel ihrer Hände Arbeit doch größtenteils stromlinienförmiges Massenprodukt. Idyllisch ist es dennoch – und von Ingelheim über Jugenheim und Saulheim bis nach Nierstein und Guntersblum liegen viele wichtige Weindestinationen in Fahrradfahrdistanz.

Disteldorniger Udenheimer Sonnenberg

Disteldorniger Udenheimer Sonnenberg

Nach samstäglichen Rieslingeskapaden samt glücklich gestorbenem Federvieh war für den Tag des Herrn eine weitere Folge meiner niemals endenden Aktion „Auf der Suche nach dem perfekten Silvaner“ geplant. Die Rheinhessen deklarieren die Sorte ja gerne mal als quasi-autochthon für sich, erstmals an- und ausgebaut wurde der wohl aus dem östlichen römischen Reich stammende Wein hierzulande vor mehr als 350 Jahren in Franken. Allerdings befindet sich zwischen Mainz, Bingen und Worms die größte Rebfläche, auf ca. 2500 Hektar wird die Silvanerrebe gepflegt. In der gesamten Republik hat der Silvaner übrigens einen Anteil von 5 % an der Gesamtrebfläche (Rebflächenstatistik 2010).

Am vorgeblich oberen Ende der Qualitätsskala fing ich an, nach einem Frühstück ohne Kaffee und dem Zähneputzen so gut wie ohne Pasta. Der VDP hatte geladen und alle Jaguarfahrer der Landeshauptstadt waren in die Rheingoldhalle gekommen. Obwohl ich extra früh losgeradelt war, hingen schon reichlich Parfum- und Aftershaveschwaden in der ansonsten alkoholigen Luft im Foyer mit Rheinblick. Obwohl kein Verkostungsprofi, wollte ich die Sache ernst nehmen und trank mich zügig und mit Elan spuckend durch die angebotenen circa zehn Silvaner, immer auf der Flucht vor dem Nobelpöbel. Einige Enttäuschungen waren dabei, vor allem die gefühlten Stars boten wenig Bestechendes. Jedoch gab es auch einen Sieger meines Privatwettbewerbs: Den 2010er Siefersheimer von Wagner-Stempel. Sortentypisch grasige, klare und frische Noten mit einer dichten Tiefe kombiniert wie bei keinem anderen Wein. Wohl waren die Trauben extrem lange, bis in den Oktober hinein, an den Reben. Trotz Stückfasseinsatz und reichlich Alkoholgehalt – eigentlich mag ich’s eher jung und leicht und knackig – eine überzeugende Kredenz (wie übrigens die gesamte Kollektion).

VDP-Verkostung in Mainz

VDP-Verkostung in Mainz

Was sonst noch bemerkenswert war unter den 2010ern aus Rheinhessen/Ahr/Nahe und den älteren Großen Gewächsen? Ich beschränkte mich darauf herauszufinden, welche Einstiegs-Rieslinge meinen Geschmack träfen – einfach gut in dieser Kategorie wieder einmal der Unplugged von Tesch. Zum Abschluss gönnte ich mir noch eine Runde Frühburgunder und blieb beim Weingut Kreuzberg von der Ahr hängen. Deren 2008er Hardtberg GG ist eine Wucht, Klassenbester mit großem Abstand.

Nach nachmittäglicher Erholungsphase stand für den Abend der lange schon geplante Besuch bei Wolfgang Janß auf der Rheinterasse in Guntersblum auf dem Kontrastrogramm. Bodenständige Weinbauernidylle mit Straußwirtschaft und Panoramablick. Da der Chef wie sehr oft auf einem norddeutschen Weinfest missionierte, setzte ich mich mit seinem Betriebsleiter Ulrich Damerow an den flaschenbefüllten Tisch. Den Geisenheimer hatte ich auf dem Vinocamp kennen und schätzen gelernt. Die Ergebnisse beider Arbeit waren nun im Glas – Silvaner von 2007 bis heute. Der aktuelle Jahrgang gefiel mir dabei deutlich am besten, der Frische wegen, der Prägnanz, des Rests an Säure. Und, ja, nicht zuletzt auch ob des re-designten Etiketts. Einfach gut.

Finale:  Des Adepten Geisenheimprojekt, Dornfeldersekt, rose und brut. Die dicke grüne Pulle wurde in einer fröhlich wachsenden Tischgemeinschaft schnell zur Neige gebracht. Perfekte Sommerabendunterhaltung. Ein Tropfen wie die abschließende Heimfahrt in den prallen Sonnenuntergang: Blendend!

Etikettenevolution