Bánh mì im Cafe 1980, Köln

Vor ziemlich genau drei Jahren schrieb ich (leicht überzogen, wie es meine Art ist) hier Folgendes:

„Ich kenne aus aromatischer, konzeptueller und prozessualer Sicht keine überlegenere Nationalküche als diejenige (Nord-)Vietnams. Nur die Produktqualität vor Ort ist hundsmiserabel. Und was in hiesige Asialäden gelangt, ist um keinen Deut besser.  Daher starte ich dieser Tage ein neues Forschungsprojekt, suche nach guten Produkten, alternativen Bezugsquellen und eventuellen hiesigen Derivaten. Und werde davon berichten. Auch darüber, was der eigentliche Anlass dieses Artikels war, der da heißen sollte “Die Rettung des Banh mi mit Musik”.“

Und bereitete danach auf einem kleinen, niederrheinischen DIY-Musikfestival exakt 173 vietnamesisch inspirierte Baguettes zu. Nachdem ich zuvor Feldforschung betrieben hatte, wie genau die belegten Brote idealtypisch funktionieren. Weil ich vor nun auch schon fast zehn Jahren in den Gassen von Hanoi und Dong Hoi und Nha Trang dieses für mich weltbeste „streetfood“ kennengelernt hatte und bis heute nicht wüsste, was an dem Konzept verbesserungswürdig wäre. Es existiert kein Banh-mi-Dogma, die Rezepte und Belage variieren in Vietnam und in den Metropolen dieser Welt. In Berlin und in Hamburg werden schon seit einigen Jahren gute Adaptionen angeboten, mit leichten Abschlägen auch in Düsseldorf. Seit heute auch, endlich, in Köln.

mi1

Diese dünnkrustigen, sehr hellen und luftigen Baguettes – (ein guter Anteil) Reismehl im Teig ist die Voraussetzung für stimmiges Gelingen – als Relikt französischer Kolonialzeit sind die Basis des guten Geschmacks. Hier ein gutes Rezept zum Selberbacken. Nur werden sie in unseren Breitengraden nie genau so gelingen wie in Südostasien. Denn es sorgt schon das tropische Klima für ganz spezifische Prozesse bei der Teiggare. Die hohe Luftfeuchtigkeit in Vietnam führt auch dazu, dass ein unvergleichlich „saftiges Mundgefühl“ entsteht, das nicht nur den mehr oder weniger „feuchten“ Dingen geschuldet ist, die zwischen die beiden Baguettehälften gelegt werden. Fast immer Bestandteil der Füllung eines klassischen Banh mi sind: drei Sorten Fleisch (eine Pastete aus Schweinefleisch, einer Leberwurst nicht unähnlich, gegrillter Schweinebauch und Scheiben einer Wurst); allerlei Kräuter, bei deren Zusammensetzung Koriander und der wohlriechende Knöterich die Hauptrolle spielen; nuoc mam; eingelegtes Gemüse wie Möhren und Rettich; frisches Gemüse wie Gurken und Frühlingszwiebeln. Weitere Saucen und auch Mayonnaiseähnliches spielen häufig eine Rolle im Banh mi.

Habe ich schon geschrieben, dass das Ergebnis im Idealfall das beste Unterwegsessen der Welt ist? Und wie schmeckt Banh mi nun in Köln? Nun, in der Bobstraße, zwischen Zülpicher Platz und Neumarkt gelegen, hat Hoa Hiep Lam, der auch als Koch im Restaurant Joie Viet überzeugt, das Cafe 1980 eröffnet. Er backt selbst und belegt mit guten Zutaten (z.B. mit eigener Enten-Paté statt Schweineleberwurst). Und verkauft ab heute die besten Banh mi im Rheinland – so viel ist sicher. Eine absolute Empfehlung!

mi2


Ohrensausen und Banh mi

Die Vorbereitungen waren getroffen, alle wirkten fokussiert. Pünktlich verschwand die Sonne. Ein leichter Niesel setze ein, später dann wuchs sich dies wohl aus in einen prasselnden Landregen. Adrenalinüberschuss und Kammerflimmern ließen jedoch solch Banalitäten nicht über die Wahrnehmungsschwelle schlüpfen. Ich liebe erste Male, ständig etwas Neues tun. Therapeuten schimpfen dies Flucht vor der Beständigkeit, mein Name dafür ist Leben. Nun also: Ein Musikfestival.

Dabei sein zu dürfen in den Wochen der Planungen, Entwürfe und Verwerfungen war ein als kreativer Feldversuch getarntes Geschenk. Die Initiatoren und Gastgeber stellten alles zur Verfügung: Ihre Köpfe, Herzen, Haus und Hof. Immer das Machbare ausloten, an die Grenzen gehen und einen Schritt darüber treten: So wurde verfahren und Voraussetzungen geschaffen, dass alles, wirklich alles zum Besten geriet. Auch meine eigene, kleine Überforderung: Nicht nur helfende Hand und offenes Auge, auch ein paar Minuten auf der Bühne mit Trompete und Mandarinen – und die Verantwortung für das leibliche Wohl (zumindest für Teile davon).

Von 1 Uhr mittags bis 3 Uhr nachts kamen über 300 Menschen. Alle Planungen gingen auf. Aufgegessen wurde beinahe, ausgetrunken restlos alles. Vor allen Dingen aber gab es sechs Bands, die sämtlich ohne Gage spielten, angereist aus Osnabrück und Düsseldorf, Antwerpen und Brüssel, Italien und Schweden. Ein Satz für jede Kapelle, denn Worte können das Gehörte kaum transportieren:
Zuerst also die rheinische MANDARINE mit irgendwas zwischen sphärischem Artpop bis Wüstenrock, Improvisationsmut und LowFikonzept, irrer Gesang, tighte Beats und funky Geschrammel, gewürzt mit fünf Trompetentönen. Dann wurde es richtig verrückt, MIM & LES VOSGIENS, Kunsthochschulelektropunk mit Soundkaskaden, Rhythmusfrakturen und Gesangseskapaden, Belgier halt. TRUE CHAMPIONS RIDE ON SPEED klangen exakt so, wie der Name vermuten ließ. Seit langer Zeit standen die Indiehelden von PENDIKEL wieder mal auf einer Bühne und ließen Hoffnungen keimen, dass legendäre Alben wie „Don’t cry, Mondgesicht“ oder „Phantasievoll (aber unpraktisch)“ noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten. HUMMEL (und der Bär) kommen aus Umea oder München und sind die Diddi Hallervordens des Hardcore. Das grandiose Finale bot schließlich ein Trio aus Verbania, Italien, die Moschusochsen des Poststonerrock, tight as fuck: MUSCHIO.

Wir haben noch getanzt, in der Porreewaschhalle, die Muskeln wieder locker geschüttelt und die Nervenbahnen frei. Wir waren satt und müde und betrunken und frei. Glücklich. Und dankbar, allen und für alles. Gingen, mit einer leisen Ahnung, einem Gedankenfunken an ein nächstes Mal.

mim
Auf vielfältigen Wunsch hier noch die Bauanleitung für die vietnamesisch inspirierten Baguettes:

Ein gutes Baguette (ca 20 cm Länge) aufschneiden und auf der Unterseite mit Bohnen-Tofupaste und oben mit Mayonaise bestreichen. Belegen mit Scheiben von in Fischsauce mariniertem und gedünstetem Schweinefilet, feinen, mit Zitronensaft, Chilies und Minze gewürzten Zwiebelringen, in Nuoc mam eingelegten Möhrenhobeln, Gurkenscheiben, Frühlingszwiebelstückchen und Korianderzweigen.

(Die Paste habe ich gemixt aus einem Teil Räuchertofu, einem Teil Kidneybohnen und einem Teil Erdnussöl und mit Zimt gewürzt. Die Mayonaise habe ich eifrei aufgeschlagen wie hier. Für die fleischlose Variante wurde das Schweinefleisch ersetzt durch eine Art Rührei.)


Wieder kein Banh Mi oder: Wes Brot ich fress, des Lied ich sing

Als feile Feder allerlei Dienstherren glücklich zu machen, Gebrauchsliteraturen zu drechseln weit weg von zuckrig süßem Kunsthandwerk, zu brillieren als Meister der Verdichtung eher denn als Wortakrobat, ist mir Passion. Buchstabenschwurbelei als psychohygienischer Ausdruckstanz findet einzig auf diesem Blog statt. Vom Schreiben leben kann mehr sein als das Auslutschen der pergamenttrockenen Hand im lechzenden Mund. Als Mittel zum Zweck war es mir biographisch betrachtet ursprünglich eher der Weg als Ziel. Heute weiß ich, dass der Gang zum Markt, auf den ich einst die Seele trug, mir immerhin die Töpfe füllt. Als Umkehrschluss lernte ich das Küchenhandwerk sozusagen aus Gründen intellektueller Selbstverteidigung. Und bin heute minnesingender Mundschenk, Hofnarr und Truchsess im Gesindehaus in Personalunion. Ich schreibe und koche und saufe und esse mit Pauken und Trompeten. Zum Schalmeienklang schmiede ich allenfalls Ränke oder dichte einen Leich.

Der Text zum besten Banh Mi des linken, unteren Niederrheins und seinem Einsatz als Guerillafestivalcatering ist jetzt so gut wie fertig. Allein den passenden Wein fand ich noch nicht.

Nachtrag 26.08.2013:
Zur Banh-Mi-Bauanleitung


Exotik in der Hobbyküche schmeckt oft wie ein Heimporno aus der DDR

Aus popkultureller Sicht ist Vietnam ein Jammertal. Totglobalisiertes Asiapopgedudel präsentiert von gitarrenschreddernden Covercombos. Auch wenn theoretisch die weite Verbreitung  von Livemusik – kaum ein Club kommt ohne Hausband aus – glimmernd glänzt, ist die Realität Ohrenqual. Amerikanisches Mainstreamrepertoire wird gerne durch die Grungemühle geschickt und trifft dann frischfrommfröhlichfrei als Ausgeburt des Dilettantenstadels auf das Publikum.  Soviel Cobrawhiskey kann kein Mensch trinken, dass er solcherlei ertrüge. Aber wer reist auch schon der Musik wegen gen Südostasien? Eher doch, um Moped zu fahren.

hanoi

Oder des Essens wegen. (Ansatzweise gelungen verbunden ist jedoch die Befriedigung ganzheitlichen Kulturstrebens auf dem Hue Festival in der alten Kaiserstadt. Übermorgen beginnt dort eine Ausgabe zu asiatischer Handwerkskunst. Ich wurde daselbst aber auch schon von einem belgischen Fanfarencorps um den Schlaf gebracht. Muss man mögen.)

Bei der Kulinarik fremder Länder verliert der mitteleuropäische Gourmand gerne den Verstand. Was für ihn in heimischen Gefilden oberste Priorität hat – Produktqualität, Ökologie, Regionalität, das ganze basalbewusste Brimbamborium – spielt auf einmal überhaupt keine Rolle mehr. Zu Hause wird der Biobauer nebenan geplündert und auf dem wöchentlichen Ökomarkt das Sortiment abgegrast, doch bei der „exotischen Zutat“ stoppt die Hirnfunktion. Oder wer hat schon eine biologische nước mắm im Kühlgerät?

Zunehmend lehne ich diesen ganzen Asiakram ab, aus Gründen.  Nehmen wir eine mittelprächtige deutsche Großstadt, Köln zum Beispiel. Genauso wenig, wie auch nur einer von tausenden Türkenläden Biodöner feilbietet, finden sich hier China- oder Thaischmieden mit Produktherkunftstransparenz. Anders als beim anatolischen Drehspieß werde ich zwar regelmäßig schwach in vietnamesischen Garküchen, arbeite aber am Reflexvermeidungsmechanismus.

Um es noch einmal klar zu sagen:
Ich kenne aus aromatischer, konzeptueller und prozessualer Sicht keine überlegenere Nationalküche als diejenige (Nord-)Vietnams. Nur die Produktqualität vor Ort ist hundsmiserabel. Und was in hiesige Asialäden gelangt, ist um keinen Deut besser.  Daher starte ich dieser Tage ein neues Forschungsprojekt, suche nach guten Produkten, alternativen Bezugsquellen und eventuellen hiesigen Derivaten. Und werde davon berichten. Auch darüber, was der eigentliche Anlass dieses Artikels war, der da heißen sollte „Die Rettung des Banh Mi mit Musik“. Warum ich also das Catering für ein kleines niederrheinisches Noisefestival übernahm, warum es dort vietnamesisch anmutende Baguettes geben wird, wie die Dinger genau gebaut werden und welcher Riesling wohl dazu passt?