Gemüse des Monats: Schwarzkohl

Gestern waren wir beim Italiener. Ganz klassisches Abendessen, mit Primo, Secondo und Dolce. In Mönchengladbach, kulinarisch ja eher eine schwierige Stadt, existiert nur ein Lokal, wo es so etwas in guter Qualität gibt. La Tavernetta da Nino liegt seit über 25 Jahren in einer schmuddeligen Gasse unweit der unlängst wiederbelebten Einkaufsmeile der Stadt, der Hindenburgstraße. Dort kocht Nino Abate für die lokale Prominenz und Oberschicht und natürlich für die Toskanafraktion feine Pasta und exzellente Fischgänge. Dass er ursprünglich aus Sizilien kommt, merkt man an vielen Positionen auf der Karte und noch mehr an den Tagesempfehlungen. Da gibt es schon einmal eine Vorspeise aus warmen, eingelegten Sardinen auf einem Zwiebelgemüse mit Rosinen und Safran, die deutlich an den Klassiker „Pasta con le sarde“ erinnert. Oder einen tomatig-würzigen Tintenfisch, wie man ihn besser kaum zubereiten kann.

Wenn ich aber meine liebste Speise aus dem Küchenkanon der Apennin-Halbinsel benennen müsste, würde ich ohnen zu zögern und trotz aller grundsätzlichen Vorlieben für die südlicheren Regionen den toskanischen Wintereintopf Ribollita nennen. Als ich das erste Mal meinen Löffel in eine Schüssel der „Aufgewärmten“ tauchte, war dies auch die erste Begegnung mit einer der ältesten Kohlarten, dem Nero di Toscana, auch Cavolo nero genannt. Im Deutschen heißen wir den Schwarzkohl wegen seines aufstrebenden Wuchses auch Palmkohl. Von Brassica oleracea var. palmifolia stammen wohl einige bei uns beliebtere Arten wie Grünkohl oder Rosenkohl ab. Im 19. Jahrhundert wurde beispielsweise auch unser heutiger Wirsing in Italien aus dem Schwarzkohl gezüchtet (verza).

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Die langen und festen Blätter des Schwarzkohls, der momentan im Rheinland Saison hat, sind von ganz eigener Konsistenz. Glatter zwar als Grünkohl, etwas milder auch im Geschmack, sind sie jedoch deutlich robuster und recht hitzebeständig. Auch bei längerer Garzeit zerfällt der Kohl nicht, was wohl der Grund dafür war, dass er Hauptdarsteller wurde im wiederaufzuwärmenden toskanischen Eintopf. In Rezepten ist meist zu lesen, dass die Blattrippen keine Verwendung in der Küche finden sollen. Zu starr und zäh und holzig seien sie. Dies gilt aber allenfalls für die unteren 2/3 des Blatts. Und auch ist die regelmäßige Probe auf’s Exempel angeraten. Denn nicht selten ist auch mehr vom Weißen genießbar und belohnt wird dies dann durch den feineren Geschmack gegenüber dem Grün.

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Bei der Lektüre einschlägiger Literatur wird hin und wieder darauf hingewiesen, dass vor 100 bis 200 Jahren aus den Rippen besonders großer Schwarzkohlblätter wegen ihrer Stabilität gar Spazierstöcke gefertigt wurden. Dies halte ich jedoch für eine Verwechslung mit Brassica oleracea var. longata. Weiterführende Informationen zum eigentlichen Spazierstockkohl finden sich hier.
Das im folgenden dokumentierte Rezept ist übrigens nur ganz entfernt von der Ribollita inspiriert. Ebenso Einfluss genommen haben spanische Aromakombinationen sowie die portugiesische Caldo verde.

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Schwarzkohl-Kichererbsen-Eintopf (Hauptgericht für 4)

10 Blätter Schwarzkohl
200g Kichererbsen (trocken)
5 mittelgroße Kartoffeln (vorwiegend festkochend)
2 Möhren
1 große Zwiebel
1 Zehe Knoblauch
2 Blatt Lorbeer (möglichst frisch)
1 Gewürznelke
500 ml Gemüsebrühe
50 ml Olivenöl
Salz, Pfeffer

Die Kichererbsen am Vortag in reichlich Wasser einweichen. Dann in wiederum reichlich Wasser mit einem Lorbeerblatt mindestens eine Stunde lang leise köcheln lassen, bis sie gar sind. Knoblauch (fein) und Zwiebel (grob) gehackt in Olivenöl anschwitzen, kleingeschnittene Möhren und Kartoffeln hinzugeben. Den Kohl bis auf das obere Drittel entrippen, kleinschneiden und mit den Kichererbsen zum anderen Gemüse geben. Einmal durchrühren, Nelke und Lorbeer sowie die Gemüsebrühe in den Topf geben und eine halbe Stunde mit geschlossenem Deckel bei geringer Temperatur garen. Anrichten und mit dem restlichen Olivenöl beträufeln.


Dieser Beitrag ist der einunddreißigste in der Reihe “Gemüse des Monats”, die in Zusammenarbeit mit dem Lenßenhof in Mönchengladbach entsteht.


Das Pure White MG ist ein Versprechen an die Region

Die sichere Nummer, der einfache Weg, die goldene Mitte – das sind Konzepte, die Cristiano Rienzner fremd sind. Er hat in China gekocht, in Norwegen, im El Bulli, in Berlin. Seit zwei Jahren nun, der Liebe wegen, in Köln. Er macht wohl alles, was er tut, mit Liebe. Mit ganzem Herzen offensichtlich. Oft mit Risiko – und immer mit der Ausdauer eines Radrennfahrers. Eines erfolgreichen, klar. In jungen Jahren gehörte er zur italienischen Nationalmannschaft der Pedaleure. Heute ist er ein Gastronom mit einem präzisen Konzept und einer exakten Vorstellung davon, wie seine Art zu kochen idealtypisch auf den Teller und in den Gast kommt. Das absolute Geschmackserlebnis ist sein Ziel. Er ist überzeugt davon, dass der einzige Weg dahin nur über das perfekte Produkt führt. Was dieses Credo angeht, gibt es für ihn keine Kompromisse.

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Nach dem vielfach gepriesenen besten Mittagstisch der Domstadt, immer in inniger Verbundenheit mit seinem alten Freund Josper, serviert im kleinen Bistro am Rande des belgischen Viertels, führt Rienzners neue Mission an den Niederrhein, an die Peripherie von Mönchengladbach. Zwischen Trabrennbahn, Autobahnkreuz, Flughafenschimäre und den Ausläufern eines durchaus prosperierenden Gewerbegebiets gelegen, in Sichtweite des Heimatflüssleins Niers, in einer Gegend also, die sich zwischen Idylle und Zerfall kaum entscheiden kann, will er das aufbauen, was der Niederrheiner so bisher nicht kennt: „Eine kreative Spitzenküche in unprätentiöser Atmosphäre.“

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Was dort, in einem Teil der Jahrhunderte alten Anlage des Abtshofes, eines Tafelgutes der Abtei Gladbach, auf den Tisch kommt, entspricht zum größten Teil dem Konzept, mit dem Rienzner in Köln erfolgreich reüssierte. Beste Fleischcuts von internationalen Spitzenproduzenten, Seafood in einer Qualität, die deutschlandweit ihresgleichen sucht, kaum Beilagen, kein Schnick und kein Schnack. Bis auf den einen oder anderen dezent eingesetzen Schaum – Relikt aus seiner molekularen Zeit – und nur vordergründig verspielte Komponenten wie farbige Tupfer und Texturträger, die immer nur eines bewirken: Das Aroma des jeweiligen Tellerhauptdarstellers wird so weit forciert, das es nahezu explodiert am Gaumen.

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Bisher läuft der Laden quasi undercover. Erst vor zwei Wochen gestartet wies beim Besuch am letzten Donnerstag von außen nichts auf das hin, was uns dann am Tisch, fast allein im wirklich weitläufigen Gastronomiebetrieb, erwartete. Ein Pre-Dessert, das so nicht auf der Karte stand und uns umso mehr beglückte, mag exemplarisch stehen für den Rienznerschen Ansatz. Eine Krake von der Valrhona-Schokolade, in roter Himbeerpulverhülle, geschmiegt auf einen eiskalten Felsbrocken. Leichte Dramatik also in der Inszenierung, absolute Klarheit im Geschmack. So einfach geht Genuss – wenn man’s kann.

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Ausnahmslos alle Gänge, die wir quer durch die mit einigen niederrheinischen Kompromissen („Wertschätzung an die Region“) angereicherte Karte bestellten, überzeugten im beschriebenen Sinne. Die galizische Kuh (Rubia galega), die acht Gemüsekostbarkeiten mit dem „catch of the day“, wildem Steinbutt, die geflämmte Fjordforelle Walldorf-Art, ganz besonders die Hummersuppe, die wir so überzeugend noch nirgends hatten. Eine „Coppa pure white“ bildete den süßen Abschluss, mit Zitronen- und Mandeleis, so wuchtig wie die Röstaromen bei den herzhaften Tellern. Das Gleichgewicht im kulinarischen Sinne war mit leichter Hand hergestellt. Und die Gewissheit, dass wir wiederkommen. Dem Pure White MG wünschen wir den Erfolg, den es verdient hat. Dass es schwer wird in einer Gegend, deren kulinarische Landkarte nur weiße Flecken kennt, liegt auf der Hand. Rienzner nimmt es als Herausforderung. Er ist sich sicher, dass dies ein Ort ist, an dem anzukommen sich lohnt. Seine Pläne sind vielfältig. Er wird sie alle angehen, mit Grandezza und Ausdauer. Möge es gelingen!

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Am Wochenende am Niederrhein

Kurzer Hinweis, gleichzeitig dringende Empfehlung:

Am Sonntag ist Hoffest auf dem Lenßenhof in Mönchengladbach-Odenkirchen. Wer bisher noch nie da war und den meiner unbescheidenen Meinung nach wahrscheinlich besten Gemüsebauern am Niederrhein nicht kennt, sollte diese Gelegenheit nutzen. Alles bio, erstklassige Produktqualitäten, viele alte Gemüse und gute Genüsse. Feldführungen inklusive. Alle Details zur Veranstaltung lassen sich auf der entsprechenden Facebookseite nachlesen.

Ein Ausflug dorthin ließe sich prima mit einer kulinarischen Stippvisite hier verbinden. Ja, richtig geklickt und gelesen: Der bisher beste Kölner Mittagstisch vom Produktfetischisten und Weltenbummlerkoch Cristiano Rienzner hat jetzt eine Dependance in Mönchengladbach-Neuwerk. Irre genug: In dieser Stadt, für die das Attribut „kulinarische Diaspora“ wahrscheinlich erfunden wurde, noch dazu in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Ausflugslokals aka Familienfesthölle (regional bekannt als Abtshof) wird nun solches an die Tische gebracht:

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Und dies vielleicht:

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Wie gesagt: irre. Ich werde ausführlich berichten, kommende Woche. Bis dahin freue ich mich nur.
(Beide Fotos wurden gestern im Kölner Stammhaus des PW aufgenommen.)


Mein Biobauer

Achtung, Werbepause

„Ich gehe jeden Abend an mein Feld und gucke, wie die Kulturen wachsen. Wenn da alles gut läuft, bin ich immer sehr, sehr zufrieden. Mein Name ist Joachim Kamphausen, ich bin Biobauer aus Leidenschaft und bewirtschafte 25 Hektar Ackerland in Mönchengladbach am Niederrhein.“


Traurige Gastrowüste

Wenige Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern kenne ich in Europa, die kulinarisch derart schlecht ausgestattet sind wie die Kapitale des südlichen Niederrheins, Mönchengladbach. Vielleicht liegt’s daran, dass der wahrscheinlich einflussreichste deutsche Gastrokritiker – ja, der mit dem Texturtick – ebendort wohnt? Da traut sich kein Gastronom Ambitioniertes, außer vielleicht der rührige Wolfgang Eickes mit seinem Palace St. George. Gäbe es allerdings den nur einen Steinwurf entfernt trainierenden örtlichen Verein für Leibesübungen nicht, wäre wohl auch dieser Feinschmeckerversuch zum Scheitern verurteilt. Eine der ärmsten Kommunen der Republik mit der höchsten Quote an Sozialhilfeempfängern: Man sieht es an jeder Ecke. Und an jedem Tresen, in jeder Restaurantküche. Gepaart mit der den Ureinwohnern eigenen konservativen Bodenständigkeit fasst kein ambitioniertes kulinarisches Projekt Fuß. Seit Jahr und Tag nicht.

Zugegeben, dies ist keine neue Erkenntnis, gute Küchen suche ich, wenn nicht gleich in Düsseldorf oder Köln, eher schon im eigenen Landkreis, in Krefeld, Venlo, Duisburg. Nun musste es aber seit langem wieder einmal sein, ein Freund war kurz in der Stadt, es sollte also in der alten Textilmetropole gegessen werden. Der Anlass für diesen Text. Auch noch asiatisch war die Vorgabe. Und kein Trash. Himmel.

Lack of Afro – Little Fugue

Lobeshymnen werden gesungen gesungen auf der sich im Siechtum befindlichen Bewertungsplattform Qype – auf einen Laden namens Lotüs, 22 Kritiken mit durchschnittlich 5 von 5 Sternen. Topranking im Bereich Chinesische Restaurants. Ich werde keine Diskussion über Sinn und Unsinn von Online-Restaurant-Kritiken wagen, das führt zu nichts. Nur kannte ich auch reale Menschen, die dort gegessen hatten und von solider Küchenleistung berichteten, mindestens. Also wurde gewagt.

Ich will es kurz machen, es ist ein verfluchtes Drama, mir fehlt die Geduld für viele Worte. Ich hatte alles erwartet, nur dies nicht: Ein richtig schickes, minimalistisch eingerichtetes Etablissement, halb Lounge, halb Bistro. Eine Karte, die alles an südostasiatischer Fusionküche bot, was geht – nur nichts Chinesisches. Leckere Fruchtcocktails und ich bekam sogar einen soliden rheinhessischen Sylvaner. Wir aßen eine gute Suppe im Thai-Stil, an eine klassische Tom Yam Gung angelehnt. Leicht, säuerlich, fein. Dann gedämpften Tintenfisch, butterweich. Wild-würzig. Mit Koriander, Chili und Knoblauch. Fischsauce. Und allerlei unbekanntem Kraut. Hernach sautierte Tigerprawns in Tamarindensud mit Lauch und frittierten Schalotten. Leider etwas zu süß. Schließlich ein Hähnchenhaschee mit grünem Curry und Kaffirlimetten. Das war das reduzierteste Gericht und vielleicht daher auch besonders prägnant. Gut war alles. Auch die Parade an überreifen Mangos, Papayas und  Pitahayas machte Spaß.

Das Drama? Wir waren die einzigen Gäste. An einem Donnerstagabend um 20.00 Uhr. Die Wirtin stammt aus Saigon und hält schon sieben Jahre durch. Der Koch ist Thai. Seit einem Jahr fressen sie die Schulden auf. 0/8/15-Chinarestaurants mit genormter Schrottküche laufen hervorragend. Auch in Asia-Imbissen mit Gammelfleischverdacht verlischt die Gasflamme unterm Wok nie. Welt, was bist Du ungerecht!