Chopelin, Krefeld

Vor inzwischen wohl schon fünf Jahren empfahl mir der Weinmacher Peter Weritz, den ich auf dem ersten Vinocamp in Geisenheim oder aber bei einem der großartigen Feste unserer gemeinsamen Freundin Astrid (ich weiß es nicht mehr genau, es war eine Rieslingdunst-verhangene Zeit damals) kennen- und schätzen gelernt hatte, das Lokal der Familie Chopelin in Uerdingen. Seitdem war ich oft am Krefelder Rheinufer, inmitten von morbider Rheinromantik, im klassizistischen Casinogebäude, in dem Bistro und Restaurant untergebracht sind. Ob unschlagbar günstiger Mittagstisch oder das große Menü am Abend – hier wird mit schlafwandlerischer Sicherheit eine Variante der französischen Küche gepflegt, die bisweilen etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Unnötig zu erwähnen, dass die Küchenleistung immer handwerklich auf hohem Niveau und der Service zuverlässig kompetent wie nahbar ist. Dies ist kein Ort für Experimente. Entspannen auf sicherem Terrain ist das Versprechen.
Um das Pferd von hinten aufzuzäumen: Gutes Indiz für das kulinarische Selbstverständnis eines derart „guten Hauses“ und eines Patrons wie Yves Chopelin ist hier schon die Käseauswahl. Einen besseren – weil perfekt gereiften – Munster aß ich nie.
Unbedingte Empfehlung!

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Raus aufs Land

Back in the days: Meine ersten journalistischen Gehversuche unternahm ich Anfang der 1990er Jahre in der für Krefeld und den Kreis Viersen zuständigen Lokalredaktion der Westdeutschen Zeitung.  Die üblichen viel zu kleinen Brötchen wurden dort gebacken, unambitioniertes Widerkäuen des Offensichtlichen, die Pflege von banalen Traditionen. Immer nur die sichere Nummer, Wagnis: nie. Keine investigative Recherche, keine Reportagen von Tiefgang und Bestand. Das rächt sich heute – weil es überall so war und ist, dass Lokaljournalismus seine Seele verkauft hat an die Langeweile und das Wertkonservative. Wo die Mantelredaktionen sich Reporter leisten und wenige Rechercheure, sind die Redakteure vor Ort zu 90 % Erfüllungsgehilfen mikrokosmischer Macht. Das Ergebnis dieser Rechnung ist das Entschwinden ins Marginale.

Ich – und ja, das ist bestimmt einer der Hauptgründe zu bloggen: die Befreiung von der so genannten professionellen Distanz – ich also war bestimmt nie ein hoch begabter Schreiber. Eher schon habe ich ein Talent zur Nische. Die Beherrschung des Handwerks ist mir Grundlage für den Mut zum Abseitigen. Und doch sind mir die Region, die Provinz, die Heimat wichtig. Ich kenne alle Abgründe des Niederrheins, durfte ich doch allsonntagabendlich Nachrichten schreiben aus den Polizeiberichten des Wochenendes. Für mein Schreiben war die Etablierung des Internets in den Jahren vor der Jahrtausendwende Katalysator, Raketenantrieb, Lustgewinn. Der ewige Versuch der Versöhnung von Struktur und Anarchie, das dem Medium innewohnende Vagantentum setzte kreative Kräfte frei. Und tut dies noch heute, da ich nach Jahren als Redakteur und Leiter von Webzines, als Schöpfer von Netz-Kampagnen und klassischer Blattmacher frohen Muts meine Seele verkauft habe und PR mache.

Schreiben ist sinnliches Tun. Da dies auch schon ganz am Anfang die in mir schwingende Saite bestens beschrieb, focht ich für Freiräume. Meine liebste Disziplin war eine Mischform aus Interview und Reportage, ein stilistischer Bastard, der mir wie geschaffen schien – zwischenzeitlich hielt ich mich selbst für den Schöpfer, juvenile Hybris das – Menschen in den Mittelpunkt meiner Artikel zu stellen, die  zu beschreiben sich lohnte. Schon immer bildeten dabei vor allem Musiker und Bewohner der kulinarischen Welt meine Achse der Guten. „Support your local scene“: Die erste Band, die ich im Lokalteil der WZ porträtierte, waren Freunde aus Anrath, die sich damals Beezy Bastards nannten, oder Session of Confusion.

Womit ich beim Anlass dieser Ego-Retrospektive, die im letzten Absatz ganz in den Dienst der guten Sache gestellt wird, bin: Denn sie sind wieder da! Mit frischen Songs, funky, dreckig, geradeaus. Mit Ende 30 wissen sie um die Usancen der Branche und die latente Perversion der Szene. Und stellen sich gerade deshalb wieder auf die Bühnen der wenigen noch verrauchten Clubs, irrlichtern zwischen Metropolen und Provinz und klingen dabei: frisch. Die Jungs sind richtig heiß, sind bereit für die ganz große Nummer, dieses Mal. Ich hab das Spüren können am letzten Wochenende, beim Konzert, beim Feiern. Gitarre, Schlagzeug, Bass. Klasse Riffs, tighte Beats (um mal in die Fachterminologie abzugleiten).  Roland Rolshoven hat nicht nur an Volumen, sondern auch an Präsenz zugelegt und singt folgerichtig auch. Andre von Borstel besticht wieder als: Der Gitarrengott aus der Gosse. Hans Kopinski fehlt leider, dafür trommelt Florian Dreher (Ex-Capricorn).  Der Dreier heißt jetzt Münchausen, spielt sich in den kommenden Wochen die Finger blutig, veröffentlicht ein Album und drängt: Raus auf‘s Land.


Krefeld, Kansas

Es gab Zeiten in meinem Leben, da habe ich pro Woche drei bis vier Konzerte besucht und beschrieben, wurde monatlich mit Dutzenden neuer Alben bemustert. Jeder Abend, der nicht vor und hinter Bühnen verbracht wurde, war angefüllt mit lauter Beschallung in verrauchten Redaktionsräumen bei Kaffee und Bier. Rezensionen, Interviews, Nachrichten, Glossen flossen fließbandartig in die Tasten und stante pede in die weite Welt. Das war großartig. Rock’n’Roll. Und ganz schön armselig. Popkulturprekariat. Gästeliste + 2. Vom Leben der Künstler hatte ich keine Ahnung, wusste  nicht um Leiden und Liebe zum Sujet. Einmal Hören – und schon hatte ich eine Meinung. Die meist saß wie ein Handkantenschlag. Geld gab’s ja keins. Da hielten wir uns mit coolster Arroganz schadlos. Bessere Zeiten klingt gut.

Heute bestelle ich einen Acker. Und schreibe ein öffentliches Tagebuch. Das ist auch ein Stück weit Showgeschäft, zugegeben. Aber weder Form noch Funktion sind definiert. Das gefällt mir gut. Freie Improvisation über nichts. Dazu hin und wieder eine gute Flasche Wein und die Platten kaufe ich jetzt selber. Auch auf Konzerten zahle ich Eintritt. Wenn denn welcher verlangt wird. Gestern war dies nicht der Fall, im Blauen Engel zu Krefeld. Markus Maria Jansen ist musikalischer Motor dieser durch und durch proletarischen Stadt und hatte via Facebook zum Auftritt eines Duos aus Kansas geladen. Truckstop Honeymoon hieß die Kapelle und versprach irgendwas zwischen Folk und Punk, Country und DIY-Indie. Ich hatte keine Ahnung und war gespannt.

Der hier eingebundene Track „Johnny and June“ beschreibt deutlich besser, was gestern in dieser tollen Kneipe passierte, als ich es mit Worten könnte. Ähnlich wie Cash und Carter stand da ein Paar auf der Bühne, das Liebe verströmte. Freund Marcus, mit dem zusammen ich im Takt wippte, brachte noch vor dem ersten Ton seine Befürchtung auf den Punkt: „Hippie-Scheiß?“. Die Haare, der Geruch, die Klamotten. Das Geschrammel und Geknödel und Gequatsche. Straßenmusikanten. Profis mit Do-it-yourself-Attitüde. Songwunder mit durchdringendem Blick und leerem Hut zwecks Kollekte.  Ironiegenies ohne Zynismus. Liebenswertes fahrendes Volk.

Katie Euliss und Mike West feierten einen Truckstop Honeymoon

Katie Euliss und Mike West feierten einen Truckstop Honeymoon

Outlaws. Storyteller. Die vom Grab unterm Magnolienbaum erzählten, in dem sie einst enden werden. Über die Junkie-Mutter scherzten und Diamanten im Asphalt funkeln ließen. 15 Fuß hohes Wasser in New Orleans bewirkte, dass die beiden auf Tour die Häuserzeile, in der sie bis dahin wohnten, auf der Titelseite der New York Times wiederfanden. Seitdem Kansas. Fundamentalismus und Nationalismus und doch ein freies Leben.
Jede Zeile, jeder Takt mehr schuf Nähe. Machte Wildfremde zu Freunden. Für einen Abend, der in Erinnerung bleibt und endete mit vielen kleinen Scheinen im Hut und dem Dank an den Organisator. Der mit seiner eigenen kleinen Band M. walking on the water das nächste Mal am 24. Juli bei Bochum total spielen wird, wie er mir beim Herausgehen sagte.


Musik-Theater mit Mini-Rosamunde

Es gibt nichts schlimmeres als Musical – die Fortsetzung von Operette mit noch fieseren Mitteln. Doch Musik im Theater muss nicht automatisch Folter sein. Dies will das Schauspiel Dortmund am 26. September beweisen (und wird es auch) – wenn es nämlich seinen neuen musikalischen Leiter auf die Bühne stellt. Der Paul darf seine Band aus Manhattan mitbringen und sich seine Freunde Mike und Markus-Maria aus Krefeld einladen. Um an einem Abend dieses ganze seltsame Kulturhauptstadt-Ding in den Schatten zu stellen, avangardistisch an die Wand zu spielen. Meine Damen und Herren, es treten auf Paul Wallfisch und Botanica sowie M. walking on the water.

Botanica, die Band

Botanica, die Band

Botanica vs. the truth fish war meine Lieblingsplatte im Jahr 2005. Auch live funktioniert die Band als energiegeladener Zwitter zwischen osteuropäischer Hochzeitskapelle und rotweinabhängigen Neopunks. Immerhin dies haben sie mit den Herren vom Niederrhein gemeinsam: M. walking feierten im letzen Jahr ein vielbeachtetes Live-Comeback und haben für den Herbst gar ein neues Album angedroht. Short-Distance-Psycho-Folk revisited, um es mal kryptisch auszudrücken. Zu einer Feier auf dem Friedhof wird es allemal reichen. Oder einer heiligen Nacht mit Rosemarie.

Dazu mache ich eine Flasche von Anthony Robert Hammond aus Oestrich-Winkel im Rheingau auf, eine 2009er Mini-Rosamunde. Rock’n’Roll-Wein, Spätburgunder-Rose, etwas plüschig im Geschmack, optisch einzigartig.

Mini-Rosamunde von Hammond

Mini-Rosamunde von Hammond