Abends in Düsseldorf

Und dann gibt es diese Zufälle im Leben eines Foodies:
Abends, an der Theke meines zweitliebsten Sushi-Restaurants, in der Landeshauptstadt, komme ich ins Gespräch mit meinem Nebenmann. Weil mich interessiert, was er da gerade isst. Battera-Sushi, meint er, Osaka-Style. Makrele mit Reis, gepresst. Und dann gerät er ins Schwadronieren, über Fischqualitäten und Fangmethoden und fragt nach meinen liebsten Adressen. Es entspinnt sich eine überbordende Fachsimpelei mit strahlenden Gesichtern auf beiden Seiten. Irgendwann lässt er fallen, dass er Fischhändler sei und in Japan gelernt habe. Und nicht nur dieses Lokal beliefere – sondern „alle, die Wert auf guten Fisch legen“. Das scheint zu stimmen, wenn man sich seinen Internetauftritt so anguckt.

sushi

Toko-Jo-Sushi im Kikaku, Düsseldorf

Ein wirklich inspirierendes Gespräch, in dem ich viel lerne über Netze und wie man sie flickt, über den Fischmarkt in Tokyo und dass neben Düsseldorf ausgerechnet München die deutsche Stadt sei, in der es die besten Fischqualitäten gebe. Und dann erreicht mich auf dem Nachhauseweg in der S8 eine Nachricht vom Guide Michelin via Instagramm. Ob sie ein Foto von mir nutzen dürften für ihre Veröffentlichungen. Why not?
Tage gibt’s…


Brudertier-Initiative widmet sich ethischen Fragen der Tierhaltung

Vergangene Woche hat sich die bisher sehr erfolgreich arbeitende Bruderhahn Initiative (BID) entschlossen, sich fortan mit möglichst allen ethischen Fragestellungen der Nutztierhaltung auseinanderzusetzen. Bisher standen besonders das Schreddern oder Vergasen von männlichen Hühnerküken im Fokus des Vereins, der ursprünglich von norddeutschen Bio-Produzenten und -Händlern gegründet und von Bioland und Demeter unterstützt wird. Über 40 Millionen Legehennen-Brüder werden laut BID in Deutschland kurz nach dem Schlüpfen getötet. Betriebe mit dem Bruderhahn-Logo hingegen schlagen 4 Cent auf den Preis eines jeden Hühnereis auf – und stecken diese Mehreinnahmen komplett in die Aufzucht der männlichen Tiere.

Bruderhähne im Freien (Quelle: BID)

Bruderhähne im Freien (Quelle: BID)

Ähnlich nachhaltige und pragmatische Lösungen sollen nun u.a. für folgende Problemfelder erarbeitet werden: So können Bullenkälber aus Biolandwirtschaft im deutschen Biomarkt bisher nur unzureichend vermarktet werden. Ganz ähnlich sieht es bei männlichen Ziegenkitzen und Lämmern aus – mit ethisch bedenklichen Folgen. Überzählige männliche Tiere werden einer nicht akzeptablen Resteverwertung zugeführt (detaillierte Infos dazu folgen hier in Kürze). Daher sollen mit allen Beteiligten – Produzenten, Handel und Verbrauchern – neue Absatzmöglichkeiten und Vermarktungskonzepte erarbeitet werden. Darüber hinaus stehen aber auch Themen wie die muttergebundene Kälberaufzucht und die Ferkel-Kastration auf der Agenda des BID. So dürfen Ferkel hierzulande bis zu ihrem siebten Lebenstag ohne Betäubung kastriert werden. Die Einführung verschärfter Tierschutzbestimmungen wurde bisher von der Lobbyarbeit der Agrar-Verbände unterminiert.

Die neu formierte Initiative lädt nun weitere landwirtschaftliche Betriebe, vor allem aus dem Bereich Rinderhaltung, ein, sich ihr anzuschließen. Diese sollten sich „mit dem Ziel der Brudertier Initiative identifizieren und sich dafür engagieren, jegliche unethische Praxis bei der Haltung, dem Transport und der Schlachtung von Nutztieren zu beenden“.

 


Jahrestag eines Unfalls

An einem trüben, feuchtkalten Spätherbstmorgen gurgelt der alte 3er-Golf beim Anlassen noch ein paar Sekunden länger als sonst. Doch einmal auf Betriebstemperatur schnurrt er zuverlässig und lässt sich leichter Hand chauffieren auf den Baum bestandenen Landstraßen am linken, mittleren Niederrhein. Trier ist heute unser Ziel, die alte Lieblingsstadt und Moselkapitale. Seit Studentenzeiten eine Art Sehnsuchtsort. Der heutige Anlass allerdings ist eher ernster Natur: ein Krankenbesuch steht an. Doch sind wir fröhlich, die Frau am Steuer, der Freund im Fond und ich als Beifahrer, singen einander Songs vor bis zum Wiedererkennen, scherzen auch noch, als wir das große Braunkohleloch passieren, auf der A61 nun, gen Süden.

Bis zu diesem einen Moment, der alles ändert, kurz hinter Quadrath-Ichendorf: Ich habe mein Leben geliebt, so wie die Frau neben mir, kann ich noch denken, bevor die Holzlatte einschlägt. Die misst 220 x 12 x 1,5 cm, so steht es später im Unfallbericht, der Autobahnpolizist hat sie herausgezogen aus dem Loch, das sie geschlagen hat zwischen uns. Erst im Himmel bleibt sie stecken, keine Hand breit neben meinem Kopf. Ein Sanitäter spricht später von der Definition von Glück. Ich weiß nicht, was das ein soll, Glück: feuchte, zitternde Hände, weil wir beim Dreisprung von der Schippe mit dem Leben davon gekommen sind?

Ein paar Augenblicke zurück: Wir sind mit 120 km/h auf der Überholspur, rechts von uns eine LKW-Kolonne, als über einem von ihnen, vielleicht 150 Meter vor uns, eben jene Latte hervorwirbelt, direkt auf uns zu. Diese Sekunde vielleicht, die zwischen Erkennen und Einschlag liegt, nutze ich zu einem Blick nach links – ja, sie hat es auch gesehen – und zum Abschied. Dankbarkeit und ein Fluch, der ungefähr den Gedanken beinhaltet, dass jetzt doch noch nicht alles vorbei sein dürfe. Dann der Knall. Ich tauche ab. Sie allerdings ist voll und ganz diese so genannte Geistesgegenwart. Mit Glassplittern im Gesicht und der Latte in Wimpernschlagnähe fährt sie einfach weiter. Ruhig. Schließt den Überholvorgang ab, setzt den Blinker, und zieht hinüber bis auf den Standstreifen, wo wir langsam ausrollen. Dabei schaut sie sich um – ja, wir leben – schaltet die Warnblinkanlage ein und seufzt.

Der Rest könnte sein: Polizei, Feuerwehr, Rettungswagen, ADAC. Weiche Knie, Traumatherapie. Wenn da nicht kurz nach uns ein weiteres Fahrzeug halten würde. Ein Transporter mit einem Anhänger. Darauf eine Weihnachtsmarktbude. Gezimmert aus Holzlatten. Der Fahrer steigt aus. Wir auch, endlich. Er geht um unser Auto herum. Beugt sich über den Kühler. Betrachtet das Loch im Glas und ganz genau die Latte. Sagt „Nicht meine“ steigt in sein Fahrzeug und fährt davon.

Wie ich es schaffe, im Anfahren ein Foto vom Nummernschild zu machen, weiß ich nicht. Drei Sekunden zuvor konnte ich noch nicht einmal das Telefon halten, geschweige denn wählen. Aber es führt zu nichts. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen unbekannt nach einigen Monaten ein – ungefähr zu der Zeit, in der die nächtlichen Flashbacks weniger werden. Mit der Freundin aus dem Trierer Krankenhaus, den besten Nachbarn der Welt und dem Menschen, der uns den Himmel nähte, feiern wir dieser Tage Geburtstag. Übermorgen werde ich mal wieder die Stelle passieren, wo immer noch unser Warndreieck steht, am Steuer eines Golf 3, an einem Spätherbstmorgen.


SCHWARZMARKT 12 und Foodcamp Niederrhein

Es ist mir eine große Freude, an dieser Stelle auf zwei Herzensprojekte hinweisen zu dürfen. Denn die Beschäftigung mit gutem Essen und Trinken, das Forschen, Beschreiben, Verknüpfen und Schmecken (file under: foodism) findet immer dann ihren Höhepunkt, wenn Gleichgesinnte zusammenkommen, sich austauschen, feiern, Netze spinnen, Geschmäcker teilen und voneinander lernen.

Genau so wird es wieder sein am Samstag, den 28. September, um 14:00 Uhr im Kölner Marieneck. Die inzwischen schon 12. Ausgabe des SCHWARZMARKTS steht an und wiederum sind alle zu unserem kleinen aber feinen food swap eingeladen, für die zur Kulinarik zwangsläufig das Selbermachen gehört. Wer also seine Kreationen tauschen möchte mit anderen Genusssüchtigen, sei herzlich eingeladen. Weitere Infos finden sich hier.

moi

Wie einige, die hier mitlesen oder mich anderweitig online verfolgen, mitbekommen haben dürften, war ich letzten Monat Teil des Foodcamps Rheinland. Dazu folgt auch noch ein ausführlicher Bericht.  Aber alle, die mich oder sich selbst so glücklich sehen möchten wie auf dem obigen Foto (entstanden auf eben diesem Event im Marieneck – Foto: Jennifer Braun) werden im kommenden Jahr erneut die Möglichkeit haben, an einem von Johannes, Marco und mir organisierten Foodcamp teilzunehmen. Ich erwähne das jetzt schon, damit Ihr Euch den Termin freihalten könnt (30. Juli bis 2. August 2020). Und so viel sei verraten: Es wird an den Niederrhein gehen, meine Heimatregion. Weitere Details folgen.

 


Olfaktorische Dominanz

Beim Wasserlassen
der unerträgliche Gestank
nach giftiggrüner
Spargelvöllerei

Der Mann mit dem Bauchladen
voller 1000jähriger Eier
im Zug
zwischen Hue und Nha Trang

Ein vergessenes Ferment
im Garagenregal
fast fliegt der Deckel vom Schraubglas
bei Berührung

Mein erster und einziger
mäuselnder Wein

Oder Weihnachten 1981
Im Treppenhaus einer Kölner Mietskaserne
verteilt eine erzürnte Bewohnerin
eine Dose Surströmming
mit dem Ergebnis
fristloser Kündigung

(Geschrieben für und gelesen beim 2. Kölner Food Reading Festival. Foto: Carmen Hillebrand)


Das „Bio-Ei“ im Restaurant: Zur Frage der Produktprovenienz

Immer häufiger fällt es beim Lesen von Speisekarten ins Auge: das gemeine „Bio-Ei“. Beim mittäglichen Streifzug durch die Kölner Restaurants und Cafes, egal welcher Preisklasse, scheint es mich bisweilen zu verfolgen. Wenn ein Koch oder Resturantleiter also ein Gericht wie „Aubergine vom Grill mit typisch israelischem Raucharoma; dazu Tomatensalsa, wachsweiches Bio-Ei, Har Bracha Tahina und Pitabrot“ auf die Karte setzt, erfreut das nicht mein kleines Hippieherz. Ich bin zwar im Privaten Fundamentalökologe, weiß aber andererseits um die (wirtschafltichen) Zwänge in der deutschen Großstadtgastronomie. Der Einsatz von ausschließlich in regionalen, kleinbäuerlichen, ökologisch wirtschaftenden Betrieben angebauten und hergestellten Produkten wäre zwar meine Wunschvorstellung, wird aber weder vom gemeinen Mittagstischgast („Die essen alles – Hauptsache es kostet nicht mehr als 9,90 Euro“) noch vom abendlichen Eventesser goutiert, geschweige denn wertgeschätzt.

Was mich nun am Bio-Ei ärgert (übrigens auch in seiner Ausprägung als „Bio-Eigelb 66°“), ist der Umkehrschluss, der sich aufdrängt. Wenn also die „Qualität“ einer Zutat hervorgehoben wird, steht für mich im Speisekartensubtext: die Provenienz aller anderen Produkte ist uns ansonsten schnuppe. Greenwashing in der Suppenküche, quasi. Ich fühle mich, wenn ich solcherlei lese, immer ein wenig veräppelt. Denn ein weiterer Umstand macht diese Art von punktuellem Bio-Marketing für mich kaum nachvollziehbar. Wenn mit „bio“ geworben wird – und sei es eben auch nur für eine klitzekleine Zutat – muss der Betrieb sich der so genannten „Bio-Kontrolle und -Zertifizierung“ unterziehen. Dazu schreibt das zuständige Ministerium in der Broschüre „Mit einfachen Schritten zur Bio-Zertifizierung – Der Leitfaden für Gemeinschaftsverpflegung und Gastronomie“:


Auslobung einzelner Bio-Zutaten in einer ansonsten herkömmlichen Speise

Die neuen EU-Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau ermöglichen es Gastronomen nun auch, eine einzelne Bio-Zutat direkt an einer Speise oder einer Speisenkomponente zu kennzeichnen, beispielsweise die Bio-Kartoffeln in einer Kartoffelsuppe, die ansonsten ausschließlich konventionelle Erzeugnisse enthält. Für diese Form der Kennzeichnung müssen allerdings zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss die als „Bio“ gekennzeichnete Zutat ausschließlich in Bio-Qualität eingekauft werden (kompletter Austausch dieser Zutat im gesamten Betrieb) und zweitens muss die gesamte Speise oder Speisenkomponente die Vorgaben der Verordnung erfüllen. Dies bedeutet auch, dass in dem Gericht nur die laut Verordnung erlaubten Zusatzstoffe eingesetzt werden dürfen, also beispielsweise keine Geschmacksverstärker (z.B. Glutamat in der Suppe) und keine künstlichen Süßstoffe (z.B. Saccharin im Dessert).

Ich unterstelle zudem: Kaum ein Lokal mit Bio-Ei wird solche in Spitzenqualität einkaufen und verwenden. Denn locker über 40 Cent pro Stück kosten Hühnereier von erstklassigen Erzeugern. Schon ab 25 Cent gibt es aber Bio-Eier im Discounter, die dann allerdings aus quasi-industriellen Betrieben stammen. Im Großhandel geht es preislich bestimmt noch um einiges günstiger. Das gewünschte Ziel zu erreichen, ein nachhaltiges Image zu kreieren, dem vordergründig immer bewusssteren Verbraucher also ein bewusstseinsberuhigendes Angebot zu machen, gelingt allenfalls wachsweich. Um ein etwas krummes Sprachbild zu bemühen.
Wie sehen das eigentlich die ganz wenigen Gastronomen, die sich ehrlich und offen um gute Beziehungen zu ihren Lieferanten und Produzenten bemühen, sie nach den Produktionsbedingungen UND nach Exzellenz auswählen – und alles dies auch den Gästen im Restaurant kommunizieren? Stört Euch nicht auch das singuläre „Bio-Ei“ in der Qualitätswüste Gastro?


Fast ein Verriss

Vor einer halben Stunde noch wollte ich einen heftigen Verriss bloggen. Über dieses neue Kölner Rooftop-Restaurant im Stilmix aus Hypermodernität und Vintage, wie er Common Sense zu sein scheint in der Gilde der Gastroraumausstatter in den 2010er-Jahren. Über diesen Versuch, eine ottolenghieske Küchenidee mit dem rheinischen Zeitgeist zu vermählen – mit dem Ergebnis, Pseudohipster in Scharen anzuziehen, nur keine hungrigen Gäste im eigentlichen Sinn. Über einen offenen Riesling ohne Grip, über trockenen, frischen Koriander, ein Baba Ghanoush, bei dem man vor lauter Raucharomen die Aubergine nicht mehr schmeckt, ein viel zu feines Hummus, darüber, dass Frittieren nicht Backen ist, über touchy Kellnerinnen und ja, natürlich, das wachsweiche Bioei, das kalt und glibbrig war und pochiert. Aber als ich dann im einzigen funktionierenden Aufzug (von dreien) abwärts rauschte und zurück ins Büro schlenderte, die Sonne durch die Regenwolken brach und im Mundwinkel noch auf einen Rest der tatsächlich formidablen, bitteren Tahina stieß, war ich mit dieser Mittagspause versöhnt.