Pompöses aus Pop und Birnen

Pompöser Pop aus Portland und badische Birnen hätte ich getitelt, wär ich Franke. Und frisch verliebter Alliterationsjunkie. So wird nur eine Sehnsuchtslatenz befriedigt – und dennoch wilder Schwärmerei Raum gegeben. Ich war leider nicht schon wieder an der amerikanischen Nordwestküste, sondern sonntäglich in der Kapitale rheinischer Hybris. Auf einer gleichermaßen überflüssigen wie lustigen Veranstaltung mit blödem Namen und ohne Zielgruppe. Weil es meinen Lieblingschampagner gab. Und die Aussicht auf das eine oder andere illustre Häppchen. Zudem Abendunterhaltung im Gebäude 9.

In der Stammkonzertlocation gaben sich Tu Fawning die Ehre. Geliebte Menschen prognostizierten mir eine Offenbarung. Ich wusste nicht viel zuvor, hatte wenig im Ohr – und war vom ersten Takt weg weg. Derartiger Mut zu musikalisch großer Geste bei gleichzeitiger instrumentalisierter Imperfektion, emotionale Vehemenz und permanentes Trommelfeuer. Dazu mutete die Hälfte des Quartetts optisch an wie New-Wave-Widergänger mit leicht faschistoidem Einschlag, die anderen wie Indiehippieklischees. So wirkte das dann auch akustisch. Nach drei Songs wollte ich gehen, weil die Wucht zu stark und der innere Resonanzkörper ausgefüllt war. Ich blieb und genoss fortan das Konzert des Jahres. Mindestens.

Auf der „Chefsache“ gab’s Pornosternchenkulinarik und haufenweise faltige Genussselbstdarsteller. Marginales, Mediokres und Überflüssiges. Und doch ein, zwei richtig gute Sachen zu trinken. Besonders in Geschmackserinnerung geblieben ist mir das Birnenallerlei von Jörg Geiger – von der Schwäbischen Alb und nicht aus Baden. Seine Champagner Bratbirne ist wohl das Flagschiff der Kollektion, mir jedoch war sein Birnengold explosiver Süßweinknaller. Solch Komplexität samt honiglichem Säurespiel hätte ich alkoholisiertem Fruchtsaft niemals zugetraut.

Jörg Geiger

Alles andere verschweige ich. Sonst werde ich nicht mehr eingeladen. Aber dies noch: Braucht jemand bodenturnende Köche?


The rest of the fest

Verzweifelte Versuche der Selbstverleugnung. Denn eine Stadt ist ein lebendiger Organismus, faehig zur Gefuehlsaeusserung, zur Selbstreflektion, zur Willensbildung. Als von Menschen geschaffene Kreatur ueberholt die Siedlung ihre Goetter oft mit Vollgas auf der Ueberholspur der systemimmanenten Fehlkonstruktion. Zu sehen zum Beispiel in einem Haufen totglobalisierter Moloche wie Bangkok, Saigon, Kuala Lumpur. Bei sich selbst zerstoerenden Krebsgeschwueren wie Mexico City oder Moskau. Vielen in Agonie verfallenen europaeischen Metropolen. Allesamt aus dem Ruder gelaufene, planlose Konstrukte, deren ganz eigene Dynamik nurmehr ein Ziel zu haben scheint: Den Menschen als Witz der universalen Geschichte zu entlarven. Als Geschoepf den Schoepfer zu ueberleben, in einer transzendenten Form, weit weg von jeglicher Intention.

Die nordamerikanische Stadt war ueber ein Jahrhundert lang exemplarisch fuer technikglaeubige Energie, und auch wenn es bisweilen aesthetische Ueberhoehungen gab, folgte generell jegliche Form einer einzigen Funktion: Der Manifestation des Groesser Hoeher Schneller Weiter. Wie der Backlash dazu aussieht, atme und beobachte ich seit ein paar Tagen in Portland, Oregon. Als Klischee des anderen, des linken, des gruenen Amerika wird seit ueber 10 Jahren Kultur inhaliert und Gegenkultur ausgespieen. In Tourismusbroschueren kommt davon an: Vorbildlicher oeffentlicher Nahverkehr (die Realitaet ist allenfalls medioker), der ganze Organismus eine gruene Lunge (relativ wahr – aber eine absolute Luege), kulturelle Speerspitze (was fuer die Popmusik zutrifft ist fuer bildende Kunst eine Vorspiegelung falscher Tatsachen und Theater und Film bleiben weit unter meiner Wahrnehmungsschwelle), kulinarische Avantgarde des zurueck zur Natur.

portland

Hierbei wird – wie an so vielen Orten auf der Welt – bewusst das Kleine, das Langsame gesucht und reanimiert. Local is the new global. Microbreweries, urban wineries, artisan cheese, regional beef, organic vegetables. Und viele Lokale, die ihrer besser verdienenden, stets grausig casual gewandeten Klientel all dies bieten. Gekocht wird immerhin auf breiter Front auf akzeptablem Niveau. Als ein Beispiel mag die Gegend um die Southeast Stark Street dienen: Alternative Cafes, ein Programmkino, Second-Hand- und ein Bioladen, Fahrradbastler, Designerkindermode. Und The Country Cat, Dinnerhouse and Bar. Schoener Laden, der Innenarchitekt war sein Geld wert, denn man sieht nicht, dass einer gewirkt hat. Grossartig lautes und taetowiertes Personal, feiner Kaffee und eine gute Oregon-Weinauswahl. Mobiltelefonverbot, offene Kueche, gute Musik, meist Northern Soul. Alles verdammt relaxed. Einfache und gute Kuechenleistung: Legendaer ist das Chicken with mashed potatoes. Eine festfleischige Haehnechenkeule entbeint, pankopaniert und in Butterschmalz sanft ausgebacken. Eine zwiebligsuesse, weinsaure Sosse. Das Purree einer weltweiten Mode folgend mit Einsprengseln von den Kartoffelschalen serviert, dadurch erdig vehement. Ein Berg blanchierter und kaum aromatisierter, feiner Mangoldblaetter dazu. Ein simples, perfektes Mittagessen, jenseits aller Fastfoodhistorie aber auch weit entfernt von Hochkuechenhermetik. So oder so aehnlich ueberall zu finden in der Stadt.

Am Fluss ist das city center wie Koeln. Genauso wirr, grau und gruen und bunt. Da der Abend meines dritten und letzten Tages auf dem MusicFestNW dem Rock’n’Roll gewidmet war – und zwar seiner dreckigen, verschwitzten, sehr koerperlichen Variante – schlenderte ich in Richtung „old town“, wo es neben dem kleinen Chinatown tatsaechlich noch alte Bretterbuden-Patrizierhaeuser aus dem spaeten 19. Jahrhundert gibt. Und den aehnlich heruntergekommenen Ash Street Saloon.

toody cole of pierced arrows

Hier schloss ich Fred und Toody vor deren Soundcheck als Pierced Arrows in die Arme, hatte zuviel schlechtes Bier und gute Zigaretten, durchlebte in 5 Stunden grosse Teile meiner musikalischen Sozialisation wieder, bis das ganze in einem wilden Pogo eskalierte. Um 2 Uhr in der Nacht und nach einem sich seiner selbst versichernden It’s okay und der affirmativen Botschaft 54 40 or fight standen wir noch lange auf der Strasse in einer Stadt, die die beiden seit 45 Jahren musikalisch praegen. Avantgarde in den spaeten 60ern – heute sind sie es wieder.

fred cole of dead moon fame

Spielen sie doch den Soundtrack des Kampfs von Herz gegen Hirn. Ein verlorener zwar, halbtaub und gelenksteif. Doch wo die ganze Welt auf der Suche ist nach der Bedeutung des schlimmen Wortes „Authentizitaet“ – und diese Stadt sich dabei selbst verleugnet – haben die beiden nie gesucht. Neben allem Wissen um das absurd Abseitige des Lebens waren sie immer ganz im Hier und jetzt: This is the day!

chicks do wine - urban winery


Portland Pastrami

Ich war noch niemals in New York. Schon wegen der ruhmreichen Delis, die in eurojuedischer Tradition aus kulinarischen Kleinigkeiten Lifestyle kreierten, wuensche ich mich bisweilen in den grossen Apfel. Das muss gerade zu diesem irren Datum erwaehnt werden, bin ich doch in Hassliebe entbrannt fuer das lustig-depressive „land of the free“. Nun weile ich jedoch momentan in Portland, Oregon, bei den surfenden Holzfaellerbaerten und taetowierten Hippiemaedchen, um bei 35 Grad im Schatten die aktuell spannendste Musikszene der Welt zu geniessen. Und ass gestern das erste Pastrami-Sandwich meines Lebens – nicht bei Katz’s.

portland pastrami

Das erste Pastrami, das diesen Namen verdient, praezise formuliert. Was genau Pastrami ist, haben andere ausfuehrlichst beschrieben, hier und hier zum Beispiel. Bei Kenny & Zuke’s Delicatessen kommt es folgendermassen auf den runden Tisch: Zwischen mit erstklassigem Senf bestrichenen, hausbackenen Roggenbrotscheiben schimmert prall und rot das zarte Glueck. Dazu selbstverstaendlich Krautsalat (cole slaw) und richtig saure Gurken. Das gute Fleisch besteht aus 8 Tage lang eingelegter Oregon-Rindsbrust, die danach 10 Stunden kaltgeraeuchert und anschliessend 3 Stunden gedaempft wird. Die Marinade ist Kennys Geheimnis, ich werde zu Hause direkt die Versuchskueche in Gang setzen. So ein herrlicher Geschmack muss doch reproduzierbar sein.

Nach dem Genuss kam der Gang in den legendaeren Chrystal Ballroom, wo des Nachts Weinland (formidabel wuchtig), die singende Sommeliere Sharon van Etten (ueberzeugend ruhig) und die lokalen Superhelden Blitzen Trapper (selbst mir zuviel Americana) spielten.

Da ich vorzeitig den Saal verliess, kam ich auf der Strasse noch in den Genuss einer Konzertperformance im Guerillastyle. Eine Bande Ninjamusikanten sprang aus einem Van, baute ihr mobiles Set auf und haute den erstaunten Passanten heftigen Hardcore um die Ohren. Nach zehn Minuten war der Spuk vorbei, die Fuenf huepften wieder in den Wagen und entschwanden mit quietschenden Reifen in die Nacht. Bisher der spannendste Musikgenuss auf dem MFNW.

strassenmusikanten in portland


Talking to turtles

Ich bin dann mal wegwohin. Recherchereise und Sommerfrische. Hier und hier. Aber nicht, ohne Euch vorher noch diese Nu-Folk-Combo aus dem wilden Osten ans Herz zu legen. Die klingen wie Portland oder Seattle, mindestens und nicht ohne Grund. LoFi-Herzensbrecher. Allein für’s Bären-Umarmen verehre ich die beiden:

Talking to turtles – Grizzly hugging

Meine ganz persönliche Grizzly-Geschichte verrate ich ein andermal, vielleicht. Wenn Ihr brav seid, in den Plattenladen Eures Vertrauens geht und dieses Album kauft. Vertraut mir, es ist gut. Und heißt nicht umsonst „Oh, The Good Life“.

C u soon.


The Lollipop Shoppe

Es wurde erst meine Küche und wird nun dieser kleine Blog zum Lolliladen. Kunterbunt und knatschsüß. Präpotent und popartig. Frei nach dem Motto: Lieber gut geklaut als schlecht selbst erdacht. Mein Dank geht in die rheinhessische Rotweinmetroploe für Inspiration und Affirmation. Arthur ist bestimmt sehr stolz auf seine Tochter; ich bin froh, dass ich kosten durfte von solchen Früchten. Karamellisierte Kirschtomaten klingen knackig. Und munden nicht nur Alliterationsjunkies formidabel.

Doch vor den Genuss hat weiß Gott wer stets erst einmal die Arbeit gesetzt. Schwitzen muss allerdings nicht ich, sondern die werte Leserschaft.  Komme ich doch dem selbst erteilten Bildungsauftrag nach und starte eine weitere Folge  meiner beliebten kleinen Musikmission. Here we go:
Eine wichtige Spielart amerikanischer Populärmusik der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts trägt den richtungsweisenden Titel GarageRock und wird von Nachgeborenen bisweilen auch als Protopunk tituliert. Zwar fehlte ihnen die politische Komponente britischer Beatband-Kollegen, aber vom Mainstream und auch von anderen Undergroundströmungen wie Flowerpower oder SurfsingSound setzen sich Garagebands durch eine raue Attitüde, dreckigverzerrten Sound und den Willen zum DoItYourself (DIY) ab. Bands hießen Kingsmen, Sonics, Pandas, Squires, Benders. Meine Favoriten aber waren und sind The Lollipop Shoppe.

Im nächsten Monat werde ich Fred Cole in Portland, Oregon treffen. Ein Held meiner frühen Jugend und meiner immer noch währenden späten Adoleszenz. Just Colour ist eines der besten Alben der 60er, ein Meilenstein in der Entwicklung psychedelischer Rockmusik. Eigentlich hieß die Combo The Weeds, doch ein süßer und bunter Namen wie The Lollipop Shoppe versprach größeren Verkaufserfolg. Ab den 70ern machte Cole dann zusammen mit seiner Frau Toody, der charismatischsten DIY-Bassistin der elektrifizierten Welt, Musik in lustigen kleinen Formationen wie Zipper, The Rats und ab 1987 mit Drummer Andrew Loomis als Dead Moon. Heute heißt die Band Pierced Arrows und spielt: Garage Rock. Auch mit Anfang 60 noch so kraftvoll und derb wie vor 45 Jahren.

Karamellisierte Tomaten am Stiel

Karamellisierte Tomaten am Stiel

Endlich essen. Und zwar Fingerfood am Stiel. Aufgespießte Häppchen. Tomatenlollies. Wie solche Pretiosen zuzubereiten sind, haben andere hinlänglich beschrieben. Perfektes Festeessen. Für die Sommerparty am Pool, die wir heute gefeiert hätten. Wenn es denn einen Sommer gäbe. So ruht das Becken still und wir genießen ebenso. Bis ein krachendes Gitarrenriff uns aus einem Kalorientraum erlöst und uns die Hookline den Verstand raubt. Fred würde sagen: Nimm dies. Lutscher!


Lauwarme, geräucherte Forelle und erbsgrüne Schifflein

Am Anfang war kein Wort, sondern eine Photographie.

Forellengerippe

Forellengerippe

Zugegeben, keine massentaugliche Ästhetik, auch eher ein kunsthistorisches Zitat als schöpferischer Akt – aber immerhin verbunden mit der Gewissheit, dass dies Tier sein Leben gab mit einem gewissen Nachhall. So sei hier einer sonntäglichen Wanderer-Einkehr-Mahlzeit ein Denkmal gesetzt.
Im Buchenholz lauwarm geräucherte Forelle aus eigenem Teich wurde gereicht mit Reibekuchen und frischem Apfelmerettich – und zwar hier und so.

Geräucherte Forelle mit Reibekuchen

Geräucherte Forelle mit Reibekuchen

Auf seltsam verworrenem Wege landeten bei der Bildbetrachtung meine Gedanken bei der großen Artistin Laurie Anderson. Vielleicht, weil ich eine Textzeile von ihrem 1994er Album Bright Red im Ohr zu haben glaubte – in der es um das Gefühlsleben von Fischersleuten geht. Vermeintlich – denn der Song heißt eigentlich „Love among sailors“ und viel besser fand ich damals „Beautiful pea green boat“, wie ich mich jetzt wieder erinnerte. Dank einer kurzen Recherche in einer nicht ganz unbedeutenden Online-Videodatenbank bin ich dann mal wieder in meiner Lieblingshafenstadt Portland, Oregon, gelandet und bei der dort ansässigen Folktruppe Pancake Breakfast, die einen gleichnamigen Track auf der Setlist haben. Von Forelle zu Frühstück, Fischern zu Folkmusik – kulinarokultureller Assoziationsrahmen, hermeneutisch gezirkelt. Mahlzeit!


Dekabristen im Januar, ebenso Johannisbeeren

Portland, mal wieder. Ist ja fast schon unheimlich, dass das Panoptikum meiner Lieblingsbands offensichtlich vor einem so geringen Horizont sich abspielt, dass stets von neuem diese Traumstadt aus dem pazifischen Nebel auftaucht. Colin Meloy und seine durch und durch unprätentiöse Truppe haben mit „The king is dead“ soeben ein Album veröffentlicht, dessen Erfolg es ihnen schwer machen wird, den grundsympathischen Antistargestus noch lange durchzuhalten. Seit ich 2005 Picaresque (bezeichnenderweise auf dem Label Kill Rock Stars veröffentlicht) und den Übersong „Sixteen military wives“ hörte, bin ich Fan. Und froh, dass ich keine Plattenkritiken mehr schreiben muss. Ich mag und kann keine Distanz mehr wahren zu Dingen, die mich berühren.

Mit Indie-Folk in zugegeben wenig attraktiver Holzfällerhemdoptik bis an die Spitze der US-Charts zu gelangen, ist fast so revolutionär wie die Dinge, die sich momentan am Nil abspielen.

Dazu passt eine Süßigkeit, obschon die Patisserie nicht mein Lieblingsbetätigungsfeld in der Küche ist.

Johannisbeerparfait mit Zimtcracker

Johannisbeerparfait mit Zimtcracker

Inspiriert von Mestolo habe ich den Espressosud ausgetauscht gegen eine Melange aus rotem Port und aufgeschlagenem Johannisbeergelee. Außerdem habe ich mir die Wasserbadprozedur geschenkt, weil dies schlicht unnötig ist.
Dies Dessert war übrigens Abschluss des letzten Sonntagsmenus, auf das ich hier in den kommenden Tagen noch eingehen werde. Nur soviel: Es wird ein Gnocchi-Dogma geben, unter anderem.