Pirohy, Mannwerk und kein Calvadoshuhn

Mal wieder Schneeregen. Und Karnevalskälte. Daher schafft es weder das gestrige Calvadoshuhn noch der Couscous nach Arthurs Tochter Art vom Samstag in diesen Blogpost. Obwohl beides formidabel war, keine großen kochtechnischen Herausforderungen, aber Gerichte mit Soulfoodpotential. Doch mit eben zuviel Sonne im Herzen. Seelenbalsam ist mir bei der momentanen Witterung eher Bergvolkskost. Ein Gericht, dass so oder so ähnlich auch in der östlichen Alpenregion oder längs der Karpaten zubereitet wird. Ich jedoch aß das Kalorienkonzentrat erstmals zu Füßen der Hohen Tatra im slwowakisch-polnischen Grenzgebiet: Pirohy mit Bryndza, braunen Butterzwiebeln und saurer Sahne (Bryndzové Pirohy).

pirohy

Kein ausgelassener Speck obenauf, dafür reichlich Schnittlauch in die Füllung. So habe ich es bei der Mutter von Z gesehen, in Spisska Bela. Und wie andere slowakische Kulinaria auch schon beschrieben – aber eben nicht zubereitet.
Der Teig besteht je zur Hälfte aus gekochten Kartoffeln und Weizenmehl, dazu ein Ei. Die Füllung kann purer Schafsfrischkäse sein oder eine Mischung mit noch mehr Kartoffel und eben Schnittlauch. So hielt ich es und war vom Ergebnis begeistert. Die Zwiebeln werden in reichlich Butter und bei nicht zu großer Hitze ganz langsam gebräunt. Die saure Sahne etwas gesalzen und aufgeschlagen.

Zurück zum Huhn:
Gestern probierte ich zusammen mit A den 2010er Mannwerk. Dank nochmals an Marqueee für die Flasche Riesling Alte Reben aus dem St. Aldegunder Himmelreich!
Mir gefiel das dominante Säurespiel ausnehmend gut – weil auf der anderen Seite Leichtigkeit und Wucht einen hübschen Zweikampf ausgefochten haben. Ich könnte nicht sagen, wer als Sieger das Glas verlassen hat. Gewonnen haben aber auf jeden Fall die Trinker. Verloren hingegen ein spontanes Foodpairing. Das Calvadoshuhn starb zum zweiten Male. Da noch ein Glas in der Flasche ist, gibt es heute einen zweiten Anlauf. Gegner: Grühnkohl, klassisch! Obwohl ich eigentlich schon weiß, dass der Männerwein ein Sologetränk ist.


Weinraute

Zurück aus dem wilden Osten brauchten meine Geschmacksnerven heute eine deutliche Herausforderung. Seit Jahren wächst relativ unbekümmert Weinraute im Garten, wohl weil ich sie einmal gepflanzt und dann schlicht vergessen habe. Genau das richtige Kraut, um Kreativität und Lust anzustacheln, schmeckt sie doch in erster Linie bitter. Bisher habe ich sie nur unverarbeitet genascht, immer dann, wenn es einen penetranten Geschmack zu neutralisieren galt. Jedoch war da stets die Ahnung, dass neben den Bitterstoffen – dafür ist der Inhaltsstoff Rutin verantwortlich, Gernot Katzer beschreibt alles wichtige auf seinen Gewürzseiten – aromatisch einiges mehr geht.

Weinraute mit Rose

Weinraute mit Rose

Zwei verschiedene Ansätze habe ich verfolgt. Im ersten Versuch habe ich schlicht mein Standard-Rezept für eine Sugo all’Arrabiata mit der Zugabe einiger Rautenblätter kurz vor Ende der Garzeit veredelt. In der Annahme, dass dieser zornig-wilden Nudelsauce eine bittere Note gut zu Gesicht stünde – und tatsächlich, geschadet hat es nicht. Um ehrlich zu sein: Eine neue Geschmacksdimension tat sich auch nicht auf.
Daher nun umstandlos zur zweiten Idee: einer Art Bifteki deluxe. So kann es gehen: 200g schieres Rinderhack – hier mal ein Dank an Metzger Bauten für die über Jahre schon gebotene perfekte Qualität – veredeln mit: einem Anchovisfilet, einer mittelscharfen, halben roten Chili, einigen Kapern, einer Zehe Knoblauch. Alles grob hacken. Ein Ei und ein halbes, trockenes, geriebenes Brötchen samt etwas Tomatenmark, Honig, Petersilie sowie 10-15 Blättern Weinraute unter die Hackfleischmasse arbeiten, salzen, pfeffern. Eine halbe Stunde durchziehen lassen.

Dann nochmals Hand anlegen, zwei Fladen formen, darauf jeweils längs eine Linie Bryndza (oder anderen Schafs- oder Ziegenfrischkäse) und etwas geriebene Zitronenschale geben und die beiden Buletten verschließen. In eine beschichtete Pfanne wenig Olivenöl, eine Knoblauchzehe, eine Scheibe Ingwer und die andere Chilihälfte geben und auf mittlere Hitze bringen. Darin die Bifteki von jeder Seite circa drei Minuten braten. Aus der Pfanne nehmen und auch wenn es verführerisch duftet: Nach einer Ruheminute schmeckt’s umso besser, weil sich die Säfte und Aromen verteilen.

Bifteki, bratend

Bifteki, bratend

Pur genossen war das Ergebnis ein Erlebnis. Die Bitternote war gut eingebunden durch Schärfe, Süße und Säure der anderen Ingredienzien, machte die Frikadelle zu einem nachhaltigen Leckerbissen.

Bifteki, angeschnitten

Bifteki, angeschnitten


Kulinarische Reisenotizen Slowakei, Teil 1

Mit reichlich Erfahrung gesegnet im Umgang mit der osteuropaeischen Kuechenwelt, erstaunen manche Phaenomene dennoch stets aufs Neue. Die Absenz von frisch zubereiteten Gemuesen aller Art auf beinahe saemtlichen Speisekarten – Kohl in vielerlei Variationen einmal ausgenommen – ist nur eine Spielart der curiosa culinaria. Dressing und Salat sind zwei Dinge, die nicht unbedingt zueinander gehoeren. Kuemmel ist hingegen allgegenwaertig. Kellnerinnen waeren in Deutschland haeufig vom Verbot von Kinderarbeit betroffen, wobei „Arbeit“ in den meisten Faellen ein Euphemismus ist. Geschirr scheint in der slowakischen Gastronomie Mangelware zu sein, wird es doch, kaum ist das Besteck abgelegt, dem Gast regelrecht entrissen. Teure Restaurants sind eine Garantie dafuer, dass man mehr Geld bezahlt – ansonsten haben Preise keinerlei Aussagekraft ueber Qualitaet und etwaige Opulenz der Speisen.

Genug der boesen Worte: Die Perlen der slowakischen Kueche wollen einfach nur entdeckt werden. Wahrnehmung im Voruebergehen funktioniert nicht, auch der erste Biss ist oft genug nicht ausreichend fuer ein zielfuehrendes Urteil. Um den werten Lesern eine Vorstellung von der Preisgestaltung der hiesigen Gastronomie zu vermitteln, nun einige Beispiele: Um fuer einen halben Liter meist vorzueglichen Bieres Pilsener Brauart mehr als einen Euro zu bezahlen, muss man schon lange suchen. Einheimische Weine werden offen fuer ein bis zwei Euro das Glas, flaschenweise um die zehn Euro in meist ordentlicher Qualitaet kredenzt. Auch fuer Speisen gilt, ein ungefaehres Drittel des deutschen Preises anzunehmen. Dies wiederum ist auch gut so.

Was positiv im Gedaechtnis bleibt: Die Slowakei ist ein Suppenland. Ein recht gutes zudem. Die formidablen Klassiker sind Knoblauch- (cesnakova polievka) und Sauerkrautsuppen (kapustnica). Doch auch Fisch-, Bohnen-, Kartoffel- und Spinatsuppen wurden probiert und fuer gut befunden. Bei der Zubereitung dienen jeweils hausgemachte Bruehen – meist vom Huhn – als Grundlage und geschmacklich dominiert stets das Namen gebende Produkt. Das ist simpel, aber gut. Tatsaechlich werden fast ueberall, auch in einfachsten Spelunken, frische Produkte verwendet. Der aus der Heimat bekannte uebermaessige Einsatz von Convenience-Food scheint schlicht zu teuer zu sein. Leider fuehrt dies nicht immer zu einem besseren Ergebnis. Fleisch zum Beispiel ist meist jenseits des perfekten Garpunkts. Beilagen muessen – zwar nicht immer, was zu erkennen eigentlich nur Beherrschern der slowakischen Sprache moeglich ist – zusaetzlich geordert werden. Jedoch wird schlicht die gute alte sozialistische Tradition der monokausalen Saettigungsbeilage fortgefuehrt. Spass macht das selten.

Ein anderer Traditionsstrang sind die KuK-Mehlspeisen. Im suessen Sektor wird verlaesslich lecker gestrudelt und auch  palačinka schmecken haeufig.
Herzhaft geht es bei pirohy zu. Besonders in der Tatra-Region sind sie eine Delikatesse. Dort werden die Piroggen aus Kartoffelteig zubereitet und haeufig mit Bryndza, einem Schafsfrischkaese, gefuellt. Serviert werden sie mit in Butter gebraeunten Zwiebeln und saurer Sahne. Aehnlich funktionieren die bryndzové halusky. Halusky sind eine Art Gnocchi.

Wie alle Osteuropaeer sind auch die Slowaken Wurstexperten. Immer viel zu fett, doch leider auch oft richtig lecker komme ich selten daran vorbei. Zum Glueck bieten als Ausgleich die unzaehligen Fluesse und Seen reichlich Fisch – von Forelle bis Karpfen – der immer dann gut schmeckt, wenn er frisch vom Grill kommt. Ein weiteres Negativum zum Schluss: Hierzulande ist in den letzten Jahren der Pizzaboom ausgebrochen. Kein Dorf ohne entsprechende Bude, kaum ein Restaurant ohne eine schlechtschmeckende Variation auf der Karte. Italiener gibt es naemlich kaum welche im Land der tausend Berge.