Ode an die Tütensuppe

Dass Foodblogger überaus geschwätzig sind, schreibt die Süddeutsche Zeitung gestern. Verworrenes Zeug sei da zu lesen und oftmals müsse der Bildschirm „fünfmal heruntergescrollt werden, bis das eigentliche Rezept“ komme. Mal abgesehen davon, dass ich mich mit meinen Veröffentlichungen dieser Tradition verpflichtet fühle, lese ich auch am liebsten online Texte, die das Bewusstsein erweitern. Oder zumindest  Lesefreude bereiten. Ein Blog ist kein Kochbuch. Rezepte suche ich in letzteren, wenn überhaupt. Fremder Menschen Internettagebücher dienen hingegen dem Zeitvertreib. Und der Inspiration, bestenfalls.

Nun singe ich also ein Loblied. Eine Ode an die Fitschebonnezupp. Der Begriff findet sich in Maria Frankens schönem Buch „Niederrheinische Küche“ aus dem Jahr 2004, ein Werk, dass den prägnanten Untertitel trägt: „… on su-e wo-erd vrö-er en Viersche jekokkd“. Hauptbestandteil dieser sauren Spezialität sind „Bonne ut de Tonn“. In unserer Familie wird sie traditionell mit Rosinenpfannkuchen serviert.

Saure Bohnensuppe mit Rosinenpfannkuchen

Saure Bohnensuppe mit Rosinenpfannkuchen

Das unter der Produktbezeichnung „Rheinische Schneidebohnen“ in „Tüten“ vermarktete Gemüse wird analog dem Sauerkraut produziert, also milchsäurevergoren. Vor Zeiten wurde derlei von allen Emma genannten Tanten in Fässern angeboten (ut de Tonn). Leider habe ich es bisher  noch nicht in Bio-Qualität gefunden.

Die Zubereitung ist simpel: Ordentlich gewürfelten Bauchspeck goldgelb ausbacken, eine ebenfalls zerkleinerte Zwiebel hinzu, dann die Bohnen (eine Tüte = 500g Abtropfgewicht) und vier bis fünf gestückelte, halbfeste  Kartoffeln. Mit Rindsbrühe auffüllen und 20 Minuten simmern lassen. Mit Salz, Pfeffer, Muskat und reichlich Bohnenkraut würzen. Dazu Rosinenpfannkuchen, nach Blinýart bereitet, reichen.

Tütenbohnen

Tütenbohnen

Kein Gericht löst bei mir stärkere Wehmut und Sehnsucht nach einer Zeit und Landschaft, die es nicht mehr gibt, aus. Keine Speise lässt mich aber auch mehr vertrauen in das Überdauern wertvollen Wissens und alltäglicher Kulturgüter und erfreut schließlich meinen Gaumen mehr.
Ein Melancholiker ähnlicher Güteklasse ist Nils Frevert. Dass ich nun Tütensuppe (Nationalgalerie/1995) höre, ist keine hergebogene Assoziation, sondern Verehrung und  Reminiszenz.


16 Kommentare on “Ode an die Tütensuppe”

  1. Afra Evenaar sagt:

    Das ist ja geradezu gespenstisch! Gerade mal drei Tage her hab ich eine Saure-Bohnen-Suppe gemacht. Leider nicht aus Fitsche- bzw. Schnippelbohnen, denn bei uns gibt es die milchsauer vergorenen rheinischen Tütenbohnen nur in größer geschnitten.
    Das Rezept konnte ich natürlich, mangels niederrheinischer Sozialisation, auch nicht aus dem Ärmel schütteln und musste mir mit vagen Angaben der rheinischen Bekanntschaft und Recherchen in lokalpatriotischen Kochbüchelchen und im Netz behelfen. Ich fand sie gut gelungen, der Kerl auch, nachträglich erfuhr ich, dass sie so ziemlich dem Rezept von Hanns Dieter Hüsch entsprach.
    Nur süße Pfannkuchen gab es bei mir nicht dazu. Manche Sitten eurerorten finde ich dann doch etwas gewöhnungsbedürftig.

  2. vilmoskörte sagt:

    „Ut de Ton“ gibt es sie wohl schon lange nicht mehr, obwohl es ja noch Metzger gibt, bei denen man das Sauerkraut lose gibt (sogar hier in Berlin). Die rheinischen sauren Bohnen findet man tatsächlich gelegentlich im besserer Lebensmittelhandel.

  3. vilmoskörte sagt:

    Mist, all diese Tippfehler!

  4. lamiacucina sagt:

    Milchsäurevergorene Bohnen kennen wie hier gar nicht. Weder aus Tüte noch Tonne. Der Rhein fliesst in die falsche Richtung.

  5. Saure-Bohnen Suppe gab es bei meiner Oma immer. Die (Oma) stammt aus dem Vogtland. Die Existenz milchsäurevergorener Bohnen war mir bis dato unbekannt. Muss wohl ein lokales Phänomen sein. Nur wie hat die Oma die Bohnensuppe dann so herrlich sauer hingekriegt?

  6. bei meiner Oma gab es sie auch. liebe Grüße

  7. utecht sagt:

    @afra:
    Wundern tut mich dieser kulinarische Gleichklang nicht. Und: Süßsauer essen noch ganz andere Volksgruppen…
    @vilmo
    Ich habe die Hoffnung allerdings noch nicht aufgegeben, entsprechende Tonnen zu finden.
    @lamiacucina
    Sollte es Dich einmal runtertreiben – gib Bescheid.
    @multikulinaria
    Hat die Oma selber gesäuert? War hier bis vor wenigen Jahren üblich…

  8. Afra Evenaar sagt:

    Bei meiner Suche stieß ich auf eine ganze Reihe von Rezepten, die Essig zur Suppe aus frischen Bohnen vorschrieben. Könnte es sein, dass es als Ersatz gedacht war für die nicht immer verfügbaren Sauerbohnen. Manchmal dreht sich ja so einiges um.

  9. Afra Evenaar sagt:

    … andere Zwecke? Verrate!

  10. utecht sagt:

    Milchsäurevergorenes ist ja in erster Linie Konserviertes.
    Wenn Essig beispielsweise in Linsensuppe kommt – oder abgewandelt Senf – ist der Ursprung eher ein verdauungsfördernder.

  11. Afra Evenaar sagt:

    Ah, danke, das wusste ich nicht.
    Nett, dass Du Dich nicht wunderst. Und, was ich zu sagen vergaß: Dieser Titel ist mal wieder einer der ganz großen.

  12. Lakritze sagt:

    Diese Kombinationen aus sauer / herzhaft und süß würde ich sofort probieren. Schien ja mal sehr verbreitet zu sein; bei uns gab es früher etwas mit Linsen, Wurst und Pflaumenkompott. Mochte ich auch.

  13. queenofsoup sagt:

    noch ein memo an mich selbst, einkaufen in berlin. mal sehn, rund ums dortige quartier sind grob geschätzt tausende biosupermärkte, da gibts die vielleicht sogar…
    und übrigens: sauerkraut ausm fass gibts am wiener naschmarkt noch, und vermutlich ewig. der verkäufer ist zwar ein fürchterlicher grantscherben, aber was nimmt man nicht alles hin…


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