Traurige Gastrowüste

Wenige Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern kenne ich in Europa, die kulinarisch derart schlecht ausgestattet sind wie die Kapitale des südlichen Niederrheins, Mönchengladbach. Vielleicht liegt’s daran, dass der wahrscheinlich einflussreichste deutsche Gastrokritiker – ja, der mit dem Texturtick – ebendort wohnt? Da traut sich kein Gastronom Ambitioniertes, außer vielleicht der rührige Wolfgang Eickes mit seinem Palace St. George. Gäbe es allerdings den nur einen Steinwurf entfernt trainierenden örtlichen Verein für Leibesübungen nicht, wäre wohl auch dieser Feinschmeckerversuch zum Scheitern verurteilt. Eine der ärmsten Kommunen der Republik mit der höchsten Quote an Sozialhilfeempfängern: Man sieht es an jeder Ecke. Und an jedem Tresen, in jeder Restaurantküche. Gepaart mit der den Ureinwohnern eigenen konservativen Bodenständigkeit fasst kein ambitioniertes kulinarisches Projekt Fuß. Seit Jahr und Tag nicht.

Zugegeben, dies ist keine neue Erkenntnis, gute Küchen suche ich, wenn nicht gleich in Düsseldorf oder Köln, eher schon im eigenen Landkreis, in Krefeld, Venlo, Duisburg. Nun musste es aber seit langem wieder einmal sein, ein Freund war kurz in der Stadt, es sollte also in der alten Textilmetropole gegessen werden. Der Anlass für diesen Text. Auch noch asiatisch war die Vorgabe. Und kein Trash. Himmel.

Lack of Afro – Little Fugue

Lobeshymnen werden gesungen gesungen auf der sich im Siechtum befindlichen Bewertungsplattform Qype – auf einen Laden namens Lotüs, 22 Kritiken mit durchschnittlich 5 von 5 Sternen. Topranking im Bereich Chinesische Restaurants. Ich werde keine Diskussion über Sinn und Unsinn von Online-Restaurant-Kritiken wagen, das führt zu nichts. Nur kannte ich auch reale Menschen, die dort gegessen hatten und von solider Küchenleistung berichteten, mindestens. Also wurde gewagt.

Ich will es kurz machen, es ist ein verfluchtes Drama, mir fehlt die Geduld für viele Worte. Ich hatte alles erwartet, nur dies nicht: Ein richtig schickes, minimalistisch eingerichtetes Etablissement, halb Lounge, halb Bistro. Eine Karte, die alles an südostasiatischer Fusionküche bot, was geht – nur nichts Chinesisches. Leckere Fruchtcocktails und ich bekam sogar einen soliden rheinhessischen Sylvaner. Wir aßen eine gute Suppe im Thai-Stil, an eine klassische Tom Yam Gung angelehnt. Leicht, säuerlich, fein. Dann gedämpften Tintenfisch, butterweich. Wild-würzig. Mit Koriander, Chili und Knoblauch. Fischsauce. Und allerlei unbekanntem Kraut. Hernach sautierte Tigerprawns in Tamarindensud mit Lauch und frittierten Schalotten. Leider etwas zu süß. Schließlich ein Hähnchenhaschee mit grünem Curry und Kaffirlimetten. Das war das reduzierteste Gericht und vielleicht daher auch besonders prägnant. Gut war alles. Auch die Parade an überreifen Mangos, Papayas und  Pitahayas machte Spaß.

Das Drama? Wir waren die einzigen Gäste. An einem Donnerstagabend um 20.00 Uhr. Die Wirtin stammt aus Saigon und hält schon sieben Jahre durch. Der Koch ist Thai. Seit einem Jahr fressen sie die Schulden auf. 0/8/15-Chinarestaurants mit genormter Schrottküche laufen hervorragend. Auch in Asia-Imbissen mit Gammelfleischverdacht verlischt die Gasflamme unterm Wok nie. Welt, was bist Du ungerecht!


2 Kommentare on “Traurige Gastrowüste”

  1. Lakritze sagt:

    Ich verspreche: Sollte es mich je nach Mönchengladbach verschlagen — da kehre ich ein.

  2. Jutta sagt:

    Ich rufe sofort meine Familie an.


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