New York, Niederrhein

In Krefeld hat Thomas Truax seinen festen Wohnsitz. Zeitweise zumindest. Denn er nennt sich selbst „a travelling musician“ und ist als One-Man-Band ständig unterwegs. In New York war er Teil einer Musikszene, in den 90ern, aus deren Umfeld die so genannte Anti-Folk-Bewegung entstand. Und landete später dann, über Umwege, mit seinen komplexen Musikmaschinen am Niederrhein. Nachdem er mit „Songs From The Films Of David Lynch“ schon ein Album der obskureren Art veröffentlicht hat, macht er aktuell unter anderem Theatermusik, kämpft mit Peer Gynt am Schauspiel Dortmund. Ins Ruhrgebiet gelotst hat ihn Paul Wallfisch, musikalischer Leiter am dortigen Theater und der große Streuner der Popkultur. Ebenfalls in New York sozialisiert – mit Firewater, Botanica und einem Small Beast – ist er der Womanizer des Underground-Barjazz und der Crooner für in die Jahre gekommene Indiemädchen. Als Tastenmann ist er zudem ein talentstrotzendes Ereignis und ein sich selbst verbrennender Netzwerker der internationalen DIY-Popkultur. So hat er auch And the wireman auf den Hof vermittelt, die ebenfalls im Big Apple beheimatet sind und sich als Meister der leisen popkulturellen Wucht entpuppten, am letzten Samstag, in Viersen.

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Sie begannen bei Hofaufart und füllten den besten Club, der keiner ist, die Bar gewordene Porreewaschhalle, mit romantischen Geschichten zu Trompete und Fidel, Tod und Schmerz und Liebe und  trafen als musikalischer Ausdruck der Leidenschaft der kleinen Form die Menschen im herrlich vollgestopften Raum wie ein Tritt in die breiten Hintern. Erobert im Sturm durch kleine Melodien und die Verweigerung der großen Geste.

Zu solcher ist Herr Wallfisch allerdings nicht nur in der Lage, seine Performance am Pianoforte lebt von einer gewissen Überheblichkeitslatenz, sexy Coolness und dem steten Willen zur – ja was eigentlich? Catchiness? Theatralik? Stardom? Was auch immer, er spaltet, manche halten ihn für arrogant, andere für musikalisch beliebig. Aber in seinen Shows kriegt er sie alle – und sogar den Hof kanonierend zum Mitgesang. Paul Wallfisch ist ein großer Künstler.

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Thomas Truax hingegen ist in erster Linie Erfinder und betörender Magier. Den Hornicator, The Stringaling und MotherSuperior hatte er mitgebracht nach Viersen, um seine wirren Geschichten zu erzählen und allerlei Geister zu beschwören. Verrücktsein ist ein Zustand, der auf ihn zutrifft, bestimmt, aber auf sein Publikum eben auch, nach einem solchen Konzert. Denn aus sich heraus zu treten ist ein leichtes, wenn New York einen Abend lang am Niederrhein ist und die Aura der großen weiten Welt nach Altbier riecht.

(Mobiltelefonfotos: RK)


Ohrensausen und Banh mi

Die Vorbereitungen waren getroffen, alle wirkten fokussiert. Pünktlich verschwand die Sonne. Ein leichter Niesel setze ein, später dann wuchs sich dies wohl aus in einen prasselnden Landregen. Adrenalinüberschuss und Kammerflimmern ließen jedoch solch Banalitäten nicht über die Wahrnehmungsschwelle schlüpfen. Ich liebe erste Male, ständig etwas Neues tun. Therapeuten schimpfen dies Flucht vor der Beständigkeit, mein Name dafür ist Leben. Nun also: Ein Musikfestival.

Dabei sein zu dürfen in den Wochen der Planungen, Entwürfe und Verwerfungen war ein als kreativer Feldversuch getarntes Geschenk. Die Initiatoren und Gastgeber stellten alles zur Verfügung: Ihre Köpfe, Herzen, Haus und Hof. Immer das Machbare ausloten, an die Grenzen gehen und einen Schritt darüber treten: So wurde verfahren und Voraussetzungen geschaffen, dass alles, wirklich alles zum Besten geriet. Auch meine eigene, kleine Überforderung: Nicht nur helfende Hand und offenes Auge, auch ein paar Minuten auf der Bühne mit Trompete und Mandarinen – und die Verantwortung für das leibliche Wohl (zumindest für Teile davon).

Von 1 Uhr mittags bis 3 Uhr nachts kamen über 300 Menschen. Alle Planungen gingen auf. Aufgegessen wurde beinahe, ausgetrunken restlos alles. Vor allen Dingen aber gab es sechs Bands, die sämtlich ohne Gage spielten, angereist aus Osnabrück und Düsseldorf, Antwerpen und Brüssel, Italien und Schweden. Ein Satz für jede Kapelle, denn Worte können das Gehörte kaum transportieren:
Zuerst also die rheinische MANDARINE mit irgendwas zwischen sphärischem Artpop bis Wüstenrock, Improvisationsmut und LowFikonzept, irrer Gesang, tighte Beats und funky Geschrammel, gewürzt mit fünf Trompetentönen. Dann wurde es richtig verrückt, MIM & LES VOSGIENS, Kunsthochschulelektropunk mit Soundkaskaden, Rhythmusfrakturen und Gesangseskapaden, Belgier halt. TRUE CHAMPIONS RIDE ON SPEED klangen exakt so, wie der Name vermuten ließ. Seit langer Zeit standen die Indiehelden von PENDIKEL wieder mal auf einer Bühne und ließen Hoffnungen keimen, dass legendäre Alben wie „Don’t cry, Mondgesicht“ oder „Phantasievoll (aber unpraktisch)“ noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten. HUMMEL (und der Bär) kommen aus Umea oder München und sind die Diddi Hallervordens des Hardcore. Das grandiose Finale bot schließlich ein Trio aus Verbania, Italien, die Moschusochsen des Poststonerrock, tight as fuck: MUSCHIO.

Wir haben noch getanzt, in der Porreewaschhalle, die Muskeln wieder locker geschüttelt und die Nervenbahnen frei. Wir waren satt und müde und betrunken und frei. Glücklich. Und dankbar, allen und für alles. Gingen, mit einer leisen Ahnung, einem Gedankenfunken an ein nächstes Mal.

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Auf vielfältigen Wunsch hier noch die Bauanleitung für die vietnamesisch inspirierten Baguettes:

Ein gutes Baguette (ca 20 cm Länge) aufschneiden und auf der Unterseite mit Bohnen-Tofupaste und oben mit Mayonaise bestreichen. Belegen mit Scheiben von in Fischsauce mariniertem und gedünstetem Schweinefilet, feinen, mit Zitronensaft, Chilies und Minze gewürzten Zwiebelringen, in Nuoc mam eingelegten Möhrenhobeln, Gurkenscheiben, Frühlingszwiebelstückchen und Korianderzweigen.

(Die Paste habe ich gemixt aus einem Teil Räuchertofu, einem Teil Kidneybohnen und einem Teil Erdnussöl und mit Zimt gewürzt. Die Mayonaise habe ich eifrei aufgeschlagen wie hier. Für die fleischlose Variante wurde das Schweinefleisch ersetzt durch eine Art Rührei.)