Vinocamp 2012 – eine Abrechnung

Ich bin im weitesten Sinne Weintouristiker. Mein absolut laienhafter Zugang zu der Thematik besteht also darin, dass ich viel Wein trinke – aber in der Regel nur solchen, dessen Herkunft ich tatsächlich erfahren habe. Ich setze mich mich dann jeweils auseinander mit An- und Ausbau – und besonders mit den Menschen dahinter, die als Bauern oder Macher für ihre Babies brennen. Bin ich entflammt, blogge ich darüber, hier, ganz subjektiv. Verkostungsnotizen halte ich nicht für bloggerischen Rock’n’Roll.

Weder journalistisch noch als PR-Mensch bin ich involviert ins Weingeschäft. Mein professionelles Tun findet auf diesem Blog keinen Widerhall. Ich fühlte mich somit etwas verloren auf dem zweiten Vinocamp Deutschland am letzten Wochenende, in Geisenheim im Rheingau. Ein Großteil der Teilnehmer verdient seine Brötchen rund um’s Thema – oder würde es gerne.  Viele verstehen die Veranstaltung als digitalen Branchentreff. Tatsächlich mutet das ganze an wie ein closed shop, wahrscheinlich trifft sich ein Großteil der Leute in dieser Zusammensetzung auch auf Messen, Verkostungen, Weinfesten. Und überhaupt sind offensichtlich die meisten Menschen, die ihre ganze Leidenschaft in Wein stecken, in der Regel durch und durch wertkonservative Typen. Trotz manch aufgesetzter Punkattitüde. Ihnen fehlt schlicht ein ganzheitlicher Lebensansatz.  So kam nicht nur die Kulinarik zu kurz in Geisenheim. Und dann schon wieder eine Party in diesem Poserparadies, wo besserverdienende FDP-Wähler ihrer Zeigefreudigkeit freien Lauf lassen.

Die paar Blogger, die dann doch da waren, dachten nur darüber nach, wie sie ihre Passion – man ahnt es schon – kapitalisieren können. Ich war ernüchtert und verwirrt – so dass ich meine eigene vorbereitete Session  nicht gehalten habe.

Das Vinocamp 2012 war eine großartige Veranstaltung, natürlich. Ich wusste ja was mich erwartet, ich habe einige tolle Menschen wiedergetroffen und zwei bis drei neue kennengelernt. Ich habe großartige Weine probiert – gereifte Rieslinge, Schampus, Rote aus Séguret, Moselstoff – und viele spannende Sessions mitgemacht. Rebschnitt, Côtes du Rhône, Madeira, Weinfehler, Steillagengeschichten, unter anderen. Ich habe soviel gelernt, dass mir immer noch der Schädel brummt.

Die Organisation war perfekt und der bedingungslose Einsatz aller Helfer beschämt mich auch einen Tag danach noch. Ich habe so wenig zum Gelingen beigetragen. Andererseits hätte ich manches eben anders gemacht, besser wahrscheinlich nicht. Die Teilnehmerschaft war ein bunter Haufen. Am Ende habe ich selbst die gemocht, die ich nicht mag, irgendwie. Ich war versöhnt, weil das Positive überwog. Ich sehe viele Gefahren, weil ich Phänomene beobachten konnte, die ich aus meiner Berufserfahrung im Bereich der strategischen Öffentlichkeitsarbeit kenne. Ich weiß aber, dass die beiden Macher – Thomas und Dirk – dafür sensibilisiert sind. Die beiden Typen sind übrigens einzigartige Enthusiasten.

Womit ich zum Wichtigsten komme: Alle, die ihr nicht da wart, kommt zum Vinocamp 2013. Besonders dann, wenn ihr keine Profis seid, sondern schlicht Weine liebt und Euch als Netzbürger einer gewissen Multiplikatorenfunktion verpflichtet fühlt. Dann wird die Chose Fahrt aufnehmen und der Kahn in die richtige Richtung segeln. Ich werde da sein – nehmt’s als Drohung!

(Bilder spare ich uns, die hat Andreas Baldauf zu Hauf. Eine Übersicht aller Berichte zum Vinocamp findet sich im Wiki.)


16 Kommentare on “Vinocamp 2012 – eine Abrechnung”

  1. […] Und – ganz frisch vor 34 Minuten gebloggt – Jörg Utrecht hat eine spannende, toll geschriebene Abrechnung mit dem Vinocamp. […]

  2. Matthias sagt:

    Danke für den Denkanstoß!

    Das ist kein einfaches Thema und darüber lässt sich gut und gerne diskutieren. Das sollten wir im RL mal machen. 🙂

    Ich schätze, dass das Vinocamp zukünftig größere Kreise, die Zusammensetzung der Teilnehmerschaft betreffend, ziehen wird. Das Vinocamp will ja nicht „in sich geschlossen“ sein. ich selbst empfinde es auch nicht so. Immerhin haben sie auch mich reingelassen… 🙂

  3. […] Vinocamp 2012 – mein persönlicher Rückblick und Ausblick in die Zukunft Mein Vinocamp 2012 Vinocamp 2012 – eine Abrechnung Treff der virtuellen Weinwelt (function(d, s, id) { var js, fjs = d.getElementsByTagName(s)[0]; […]

  4. Frank sagt:

    ich liebe wein, seit vielen jahren, liebe die geschichten um ihn und seine macher, lese viel dazu, offline und im web2.0 und melde mich auch manchmal zu wort, aber – ich blogge (noch?) nicht, verdiene mein geld nicht mit wein oder den dienstleistungen um ihn herum, hatte mich angemeldet und habe mich dann doch wieder abgemeldet, weil ich so ein gefühl hatte, da treffen sich doch eher die businessman and -women, die onlineprofis etc. … dein beitrag hat mich leider etwas darin bestärkt …

  5. Dirk Würtz sagt:

    Grazie! Ich sehe vieles tatsächlich ebenso… ausser das „Poserparadies“ 😉

  6. Moin Jörg,
    vielen Dank für die Zusammenfassung des VinoCamps aus einem neuen Blickwinkel, den ich – ehrlich gesagt – als einen der interessantesten ansehe. Denn er offenbart genau die zentrale Frage, wie die Weinszene sich für die Zukunft (zumindest teilweise) neu erfinden muss, um massenkompatibel zu sein, ohne beliebig zu werden.
    Vielleicht wäre ja für 2013 eine Session-Serie (gibt’s den Begriff überhaupt?) mit dem Thema „Die Weinszene aus der Sicht von…“ überlegenswert. So könnten wir alle Blickwinkel auf die Szene kennenlernen und ggf. gemeinsame Ansätze weiter entwickeln.
    Viele Grüße aus’m Parlament!

  7. utecht sagt:

    @Frank
    Andererseits: Der Möglichkeiten, auf Veränderungen hinzuwirken, sind doch viele. Ich zumindest werd’s versuchen.
    @Dirk
    Alles andere hätte mich auch überrascht 😉
    @Ingo
    Ob sich die „Weinszene“ verändern muss/kann, weiß ich nicht. Aber wir können ja mal mit dem Vinocamp anfangen…

  8. Lakritze sagt:

    Besserverdienende FDP-Wähler, weia. .]

  9. vilmoskörte sagt:

    Ich find’s einen spannenden Ansatz, dass du hier bei den „normalen“ Lesern deines Blogs die Werbetrommel fürs nächste Vinocamp rührst, um die Zusammensetzung des Publikums zu beeinflussen. Ich trinke gerne Wein, vor allem Riesling, habe aber keine Ahnung davon, verdiene mein Geld nicht mit dem Anpreisen der verkaufen von Wein, will mein Blog nicht kapitalisieren, wähle nicht die FDP – soll ich mitkommen?

    Aber: Wählen die Besserverdienenden heutzutage nicht die Grünen?

  10. […] hatte Manschetten vor dem VinoCamp, das sei deutlich gesagt. Wie Kollege Utecht bin ich auch ein reiner Weintourist. Ich habe beruflich nichts mit Wein zu tun. Um Abbitte zu […]

  11. chezmatze sagt:

    Wäre ich nicht gerade ganz woanders, hätte ich mich dieses Jahr angemeldet. Danke für Deinen und Torstens Beitrag, denn Ihr schreibt auch mal was anderes als „dann referierte X zu Y – und die Party war geil!“.

    Ich glaube übrigens zutiefst, dass wir in D ziemlich unter der konventionellen Denke der gesamten Szene leiden. Dass es ein paar Ausnahmen geben mag, unbenommen. Aber ich hatte bei Besuchen von Weinmessen, Verkostungen und ähnlichen Veranstaltungen (außer denen im höchst privaten Kreis) eigentlich IMMER denselben Eindruck wie Du. Vielleicht ist das auch ein bisschen für den riesigen Erfolg der „vin naturel“-Bewegung in Frankreich verantwortlich. Nicht etwa, weil die Weine besser schmecken würden (:)), sondern weil die Leute, Winzer wie Weintrinker, einfach ein etwas anderes Gesellschaftsverständnis besitzen. Oder auch ein anderes Verständnis davon, wie sie selbst ihr Leben gestalten wollen.

    That said, im nächsten Jahr wäre ich auch gern beim Vinocamp dabei ;).


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